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Beck »nicht so harmlos, wie er tut«

Der gelernte Elektriker verhinderte einen Kurzschluss mit den Linken

Von Markus Krah
Berlin (Reuters). Kurt Beck ist gelernter Elektriker. Beim SPD-Parteitag gestern musste der neue Vorsitzende gestern Kurzschlüsse verhindern, Widerstände überbrücken und Spannungen bewältigen.
Neuer SPD-Vize: Jens Bullerjahn, Finanzminister in Sachsen-Anhalt.
Am Vorabend des Parteitag überraschte Beck die Delegierten mit Ausführungen über physikalische Gesetze, bei denen es um hintereinander und parallel geschaltete Widerstände im Stromkreis ging. »Das kann man auch in der Politik anwenden«, ulkte er bei einem Empfang, der ausgerechnet in einem ehemaligen Umspannwerk stattfand. Entscheidende Schaltkreise der Partei hatte Beck am Wochenende unter Kontrolle.
Er selbst wurde mit großer Mehrheit zum Vorsitzenden gewählt, und der Widerstand der Linken gegen die Steuerpolitik wurde umgangen. Doch Beck zeigte sich im Klaren darüber, dass die Partei in ihrer gegenwärtigen Lage einen kräftigen Impuls braucht. Erste Schaltungsfehler konnte Beck gestern Morgen nicht verhindern: Bevor der Parteitag begann, redete er vor dem Tagungszentrum vor Gewerkschaftern, die sich mit den Streikenden des öffentlichen Dienstes solidarisierten. In den Applaus über Becks Bekenntnisse zu den Rechten der Arbeitnehmer mischte sich gellendes Pfeifen von Zuhörern.
Drinnen im Saal wartete der nächste Schaltfehler: Aus den Lautsprechern ertönte plötzlich ein Radiobeitrag. »Bei Delegierten und Vizekanzler Franz Müntefering herrscht gute Laune. Das wundert viele Genossen«, sagte die Moderatorin, bevor ihr der Strom abgeschaltet wurde. Dieses Erstaunen teilte offenbar auch Beck und verpasste den Delegierten einen kleinen Elektroschock: Die Wahlergebnisse seien Anlass zu Sorge, ebenso der Verlust von 37 000 Mitgliedern in den vergangenen 15 Jahren.
Umso mehr bemühte er sich, der SPD in seiner Rede einen Impuls zu geben. Mit seinen Bekenntnissen zur SPD als der Partei der kleinen Leute, zu Reichensteuer, Kündigungsschutz und Tarifautonomie traf er den Nerv der Delegierten. Am Ende der knapp 90 Minuten applaudierten sie ihm minutenlang, wie sie es auch bei den beiden anderen Parteichefs taten, die die SPD in den vergangenen sechs Monaten hatte.
Matthias Platzeck - Becks Vorgänger - sandte starke Stromstöße, als er die SPD davor warnte, bei den Reformen nachzulassen.
Schon im Vorfeld des Parteitags wandte Beck seine Kenntnisse über die Stromkreisläufe an, um einen Kurzschluss mit den Linken zu verhindern. Sie hatten mit einem Gegenantrag zur umstrittenen Unternehmenssteuer gedroht, der das Bild der geschlossenen SPD unter neuer Führung empfindlich gestört hätte. Doch unter Becks Vermittlung stand am Ende eine Einigung, die auf der Linie der Führung lag.
Mit seiner Wahl ist Beck einer der Chef-Elektriker der Großen Koalition geworden. Beim Parteitag baute er eine kontrollierte Spannung zum Koalitionspartner auf und kündigte eine stärkere Abgrenzung von der Union an. Dennoch wolle die SPD ein verlässlicher Partner bleiben. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit bescheinigte dem neuen Chef-Elektriker danach: »Du bist nicht so harmlos, wie du tust.«

Artikel vom 15.05.2006