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Concerto grosso für Harley & Co.

»Roaammmmmh« ist Neues Musiktheater von unbeschwerter Art

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Zugegeben: Dass ein Abend inmitten röhrender Motoren, heulender Maschinen und umgeben vom Geruch beißender Abgase und ölhaltiger Luft äußerst unterhaltsam, sinnlich und intelligent sein kann, ist schwer nachvollziehbar. Deshalb kann die eigentliche Empfehlung auch nur lauten: Hinfahren und selbst erleben, wie »Roaammmmmh« die Sinne stimuliert und die Laune hebt!

Der von Dramaturgin Anke Hoffmann konzipierte musiktheatralische Abend auf dem Betriebshof von »moBiel« in Sieker öffnet neue, sinnliche Erlebnisräume und offenbart ein enormes kreatives Potenzial in den Sparten Neues Musiktheater und Neue Musik. Zusammengestellt wurden spektakulär-kultige Klangprojekte rund ums Thema Motoren, Technik und Arbeitswelt.
Schon der Anblick von einem befrackten Posaunisten und neun stilecht aufgebrezelten Motorradfahrern lässt schmunzeln. Dem Komponisten Dieter Schnebel dient der Aufzug als Orchester für sein 2003 uraufgeführtes Werk »Harley-Davidson«, eine humor- und geräuschvolle Verbeugung vor dem Kultmotorrad, das 2003 seinen 100. Geburtstag feierte.
Ganz klassisch gibt Dirigent Malte Hellwege die Einsätze. Nacheinander, in Gruppen oder unisono schmeißen die Rocker -Ê»Roaammmmmh« -Êihre Maschinen an, drehen im Leerlauf den Motor hoch und wieder zurück und lassen rhythmische Fehlzündungen knallen. Tradierte Formen der Musik und Begriffe wie »konzertieren« erfahren in dem Werk ganz neue Vermittlungsstrukturen. Das ist Concerto grosso für neun Harleys und eine Solo-Posaune, die ganz klassisch dem PS-starken Orchester gegenüber steht und schließlich ins Tutti mit einfällt. Ein Hör- und Sehabenteuer sondergleichen!
Wie ein bewusstseinserweiterndes Serum wirkt hingegen die Fahrt im »Kraftomnibus 617« von Dominik Schaffner. Der 23-Jährige ersann im Auftrag des Theater Bielefeld eine Erlebnisfahrt im Linienbus durch Bielefeld. Dabei definiert er den Motor als Klangkörper. Dessen Geräusche werden von drei Mikrophonen aufgenommen und während der Fahrt zeitgleich von Schaffner digital bearbeitet. Durch Filterungen und Verlagerungen entstehen zusätzlich zum natürlichen Fahrgeräusch »spacige« Klangräume. Busfahren wird so zum Rausch mit Suchtpotenzial.
Faszination für Technik und Handwerk finden in Jörg-Peter Mittmanns Stück »Railroad Turnbridge« einen minimalistisch geprägten Ausdruck. Wie ein perpetuum mobile rauscht das vom Ensemble Horizonte punktgenau servierte Stück ab, zu dem Richard Serras Kurzfilm über eine stählerne Brücke ein optisches Pendant bildet. Zwei nicht minder attraktive Klangpretiosen von David Lang runden einen durchweg bereichernden, kurzweiligen Abend.
Weitere Vorstellungen gibt's am 20., 21., 27. und 28. Mai, jeweils 20 Uhr. Kartentelefon: 51 54 54.

Artikel vom 15.05.2006