12.05.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Uhrmacher ohne Grenzen

Thomas Brechmann und seine Leidenschaft am Zarenhof

Der Senner mit der Flötenspieluhr vom Peterhof.

Senne/St. Petersburg (mp). Wenn drei Spezialisten 14 Tage lang kooperieren, jeweils 15 bis 18 Stunden täglich an einer einzigen Uhr arbeiten, dann muss es schon ein ganz besonderes Exemplar sein - zum Beispiel eine Flötenspieluhr aus dem 18. Jahrhundert. Dieser und 450 andere Uhrenschätze stehen im St. Petersburger Schloßmuseum Peterhof. Thomas Brechmann, Uhrmachermeister aus Senne, ist bei den Russen an der Ostsee ein gern gesehener Gast: Er repariert und wartet die wertvollen, bis zu 300 Jahre alten Antiquitäten einmal jährlich.
Ganz im Stile der Hilfsorganisation »Ärzte ohne Grenzen« leistet der »Fachkreis Historische Uhren Schloss Raesfeld« hier unentgeltliche Entwicklungshilfe zugunsten der Sache: »Wir zahlen die Visa und unsere Anreise«, erklärt Brechmann. »Für Unterkunft, Verpflegung und ein Rahmenprogramm kommt das Museum auf. Unsere Arbeit an den Uhren ist ehrenamtlich.« Seit 2000 verbringt der 38-Jährige seinen 14-tägigen Jahresurlaub am Zarenhof und restauriert Unikate. »Die Arbeit dort ist wie ein Sechser im Lotto«, schwärmt er. »Eine 250 Jahre alte Uhr von unschätzbarem Wert wieder dauerhaft ans Laufen zu kriegen, ist eine sehr befriedigende Sache. Es macht Spaß, bringt Selbstbestätigung und Renommee.« Nach Brechmanns Auffassung gilt das alte Sprichwort »Handwerk hat einen goldenen Boden« noch immer. Auch wenn es dabei nicht ausschließlich ums Geld gehen dürfe. »Zwar gibt es dieses Jahr in ganz NRW nur neun Auszubildende im Uhrmacherhandwerk«, erklärt Brechmann, »aber wer engagiert, konzentriert und spezialisiert vorgeht, der bekommt seine Chance am Markt.« Er selbst hat inzwischen Kunden in ganz Deutschland, in Frankreich, Italien, Österreich, der Slowakei, Tschechien, Ungarn und Dubai. In Bielefeld betreut er die Uhren der Stiftung Hülsmann. Außerdem ist er vereidigter Sachverständiger der Handwerkskammer. Seine aktuelle Auslastung: mehr als 100 Prozent.
Und bald soll es auch noch nach China gehen: Der Fachkreis ist gerade dabei, auf Regierungsebene den Bedarf zu klären. Angedacht ist, die wertvollsten Uhren der Provinz Szechuan zu inspizieren - natürlich wieder unentgeltlich. Besondere Bedenken bezüglich der Verständigung mit den Chinesen hat Thomas Brechmann nicht: »Ich mache das genau so wie bei den Russen: mit Händen, Füßen und viel Freundlichkeit.«

Artikel vom 12.05.2006