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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Eine der seltsamsten biblischen Erzählungen ist die von Bileam, eine Episode innerhalb der Mose-Überlieferung. Auf ihrem Weg ins Gelobte Land passieren die Israeliten das Gebiet der Moabiter, östlich vom Toten Meer. Deren König Balak fürchtet, die ungebetenen Gäste könnten sich wie Heuschreckenschwärme über sein Land herfallen, es plündern und kahlfressen.
Weil es in Moab um die Selbstverteidigung schlecht bestellt ist, besinnt sich Balak auf eine Wunderwaffe. In einer Stadt am Euphrat, also hunderte von Kilometern entfernt, lebt ein Mann, der die seltene Gabe besitzt, durch sein Wort Fluch oder Segen auf andere herabzulenken: Bileam. Der soll durch sein Fluchwort die Feinde unschädlich machen. Balak läßt ihn holen und verspricht ihm reichen Lohn.
Hinter diesem - heute von manchem als fremd empfundenen - Motiv verbirgt sich uraltes Wissen um die Macht des Wortes. Dieses ist eben nicht Schall und Rauch, sondern setzt Wirkung und Geschehen aus sich heraus frei. Wer schon einmal verwünscht wurde, weiß, wie ihm das anhaftet; wer dagegen ein aufbauendes, segnendes Wort empfing, spürt, wie ihn das beflügelt - oft bis an sein Lebensende. Darüber hinaus gibt es Menschen, denen eine besondere Macht des Wortes gegeben ist. Zu ihnen gehört Bileam.
Das weiß der König. Was dieser Balak indessen nicht ahnt: Irgendwie hat Bileam davon Wind bekommen, daß der eine Gott, den Israel verehrt, anders ist als alle anderen Götter. Gegen ihn kann keiner etwas ausrichten, und schon gar nicht läßt er sich für menschliche Interessen einspannen und ihren Zwecken dienstbar machen. Das unterscheidet ihn grundlegend von den Vielgöttern der Heiden, die sich sogar untereinander bekämpfen.
Dieser eine Gott ist zudem, anders als die anderen, nicht an die Grenzen von Kirchen und Religionen gebunden. Er hat seine Diener überall - die müssen ihn nicht einmal kennen oder viel von ihm wissen. Trotzdem dringt seine Stimme auch zu ihnen. Während der Nacht - wie so oft, wenn Gott am eindringlichsten redet - wird auch Bileam klar, daß sein königlicher Auftrag zum Scheitern verurteilt ist, wenn Gott dagegensteht.
Trotzdem: Er möchte es erst einmal versuchen, denn im Erfolgsfall winkt fette Beute, und so macht sich Bileam auf den Weg. Da scheut auf einem schmalen, von Mauern gesäumtem Pfad zwischen den Weinbergen plötzlich seine Eselin. Sie weicht einem Hindernis aus, das sonst keiner sieht. Schläge bringen das Tier nicht zur Räson, es drängt sich dicht an die Wand und klemmt dabei den Fuß seines Besitzers ein, was den aber nur noch weiter in Rage bringt. Schließlich fällt die Eselin auf die Knie und ist nicht mehr von der Stelle zu bewegen.
Und dann, als die Prügel nicht nachlassen wollen, öffnet die Kreatur - wie im Märchen - ihren Mund, und da fällt es ihrem Herrn wie Schuppen von den Augen: Er gewahrt einen Engel mit bloßem Schwert in der Hand - ein Hindernis, das keine Macht der Welt überwunden hätte.
Vermutlich darf man solch einer Geschichte nicht nur ihre äußerliche Handlung nehmen - sie bliebe letzten Endes doch absonderlich. Die sprechende Eselin könnte aber ein sprechendes Bild sein dafür, daß einem Menschen auch die Natur - seine eigene Natur - etwas zu sagen hat. Es gibt Signale des Körpers. Aus seinem Inneren spricht aber auch das zu ihm, das seinem Verstand nicht unterliegt und sich auch nicht von seinem Willen steuern läßt. Es hat seinen eigenen Willen und will sich Gehör verschaffen.
Oft aber möchte man gerade dies nicht wahrhaben, sträubt sich dagegen, versucht, es zu unterdrücken, zu reglementieren und mit Gewalt zu bezwingen, und merkt gar nicht, wie man doch nur in die Enge getrieben wird, bis es nicht mehr weitergeht. Erst als Bileam das begreift, wird es ihm zum Segen, und er erkennt, daß er diesen Segen weitergeben muß (nachzulesen: 4. Mose/Numeri, 22-24).

Artikel vom 13.05.2006