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Wer die Anlage »Im Kapellenbrink« von der Südseite betritt, lernt sie sofort von ihrer Schokoladenseite kennen, denn die Frühlingsblumen setzen jetzt besonders schöne Farbakzente. Der große Garten ist ein Beispiel für die Gemeinschaftsprojekte, die die 114 Bewohner mit großen Engagement verwirklichen. Die Anlage übrigens kann am Sonntag, 28. Mai, im Rahmen der Aktion »Offenes Gartentor« besichtigt werden.
»Jeder kann nach seinen Möglichkeiten und Interessen mittun«, betont Gisela Stender. Ein Musizierkreis hat sich gebildet, Literaturfreunde finden Gesprächspartner, eine Theatergruppe trat jüngst mit dem Redentiner Osterspiel gar in der Vilsendorfer Kirche auf. Einsam soll hier keiner sein, haben sich die Gründungsväter und -mütter vorgenommen. Das ist gelungen - und mehr noch: Eine große Zahl der Bewohner hat hier neue Freude gefunden. Auf Privatsphäre muss dennoch keiner verzichten.
Nicht das Müssen ist das Maß der Dinge, sondern das Können, das Dürfen und das Wollen. Wer sich für diese Form des Lebens interessiert und den »Kapellenbrink« besichtigt, wird mit einer wichtigen Frage konfrontiert: »Sind Sie auf Nachbarschaft gestimmt?« Die Erwartungen aneinander kommen gleich auf den Tisch und werden - zumindest von Seiten der »Kapellenbrink«-Vertreter - deutlich formuliert.
Der Geist, der hier herrscht, wird deutlich, wenn man auf die Entstehungsgeschichte der Anlage blickt. Die Initiatoren, darunter Bärbel Heringhaus, Gisela Stender und Michael Lange, kamen aus dem Umfeld der in Schildesche ansässigen Waldorfschule und warben vor allem dort für die Idee, eine Alternative zu den bisherigen Lebensformen für Ältere zu schaffen, Gemeinschaft herzustellen in einer Gesellschaft, in der die Vereinzelung um sich griff.
Im Jahr 1988 wurde der Verein gegründet, der aus dem Stand 50 Mitglieder umfasste. Bärbel Heringhaus und Gisela Stender besuchten in der Folgezeit viele Alteneinrichtungen, suchten nach Anregungen und brachten Informationen mit, die im Vorstand ausgewertet wurden. Die private Finanzierung des ehrgeizigen Projektes - damals von Skeptikern als Wagnis kritisiert - hat sich inzwischen als richtig erwiesen. Dies in vielerlei Hinsicht, auch was die Homogenität der Bewohnerschaft betrifft
Mit dem passenden Grundstück in Schildesche und dem richtigen Architekten (Ludwig Kegel) ging es dann in die heiße Planungsphase. Vier Jahre lang traf sich ein zwölf bis 15 Personen großer Baukreis einmal wöchentlich zur Besprechung.
Im August 1996 zogen die ersten Bewohner ein; bis Januar 1997 waren alle fünf Wohnhäuser belegt. Nur 50 Prozent der Erstbewohner, so hat der Vorstand einmal festgestellt, stammen aus Bielefeld und Umgebung. Die andere Hälfte zog aus Nord- oder Süddeutschland nach Bielefeld, drei Bewohner gaben sogar ihr Domizil in Schottland auf.
»Wir wollten Häuser für Menschen und nicht Menschen für Häuser«, formuliert es Gisela Stender. Die Gestaltung der kleinen Siedlung habe etwas Dörfliches, Heimeliges. Umweltverträglichkeit und Grundsätze der Baubiologie waren wichtig bei der Wahl der Baumaterialien; Grundrisse und Farbkonzepte wurden stets mit Blick auf ihre Wirkung entwickelt.
Das I-Tüpfelchen war der Bau des Hauses der Stille, gefördert als Expo-Projekt. Der Raum steht - im Gegensatz zu dem multifunktionellen Saal im Haupthaus Turmalin - für Andacht und Meditation zur Verfügung. Er wird auch genutzt, wenn die Bewohner sich zum Abschied von einem Verstorbenen zusammenfinden.
Mit wachsendem Betreuungsbedarf und steigender Pflegebedürftigkeit wird sehr bewusst umgegangen. Die vier Betreuer - ein Mann und drei Frauen - sind nicht nur nach Ansicht von Gisela Stender »das Kostbarste, was wir hier haben«. Denn sie ermöglichen es, dass die Bewohner sich mit zunehmenden Alter gut umsorgt fühlen. Und dazu tragen auch jene bei, die ehrenamtlich im Einsatz sind, vor und hinter den Kulissen. Oder an zentraler Stelle, der »Drehscheibe Büro«, in dem Gisela Stender sitzt.
Auch wenn sie sich nur als Teil eines Ganzen sieht: Das Projekt trägt ebenso ihre Handschrift, wie die von Michael Lange und Bärbel Heringhaus. Die Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz war für diese Drei öffentliche Anerkennung ihres Einsatzes.

Artikel vom 13.05.2006