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Einwanderer-Kinder
zu wenig gefördert

Neue Studie erteilt deutschen Schulen schlechte Noten

Berlin (dpa). Das deutsche Schulsystem muss in der neuen weltweiten OECD-Studie über die Förderung von Zuwandererkindern erneut mit schlechten Noten rechnen.

Die Konzentration von Schülern ausländischer Abstammung in Hauptschulen bringt nach Ansicht des Autors und OECD-Bildungskoordinators Andreas Schleicher wachsende Probleme. Diese seien von den Lehrern kaum noch zu bewältigen, auch weil es immer weniger deutsche Schüler in dieser Schulform gibt, sagte Schleicher.
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) will heute in Berlin eine weitere PISA-Auswertung zum Lernerfolg von Migrantenschülern in 17 Industrienationen vorstellen.
PISA habe gezeigt, dass es viele Länder mit einem weitaus höheren Anteil ausländischer Schüler gibt, die besser abschneiden als Deutschland, sagte Schleicher.
Die Vize-Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marianne Demmer, warnte davor, Schulversagen und soziale Probleme den Migrantenkindern und ihren Eltern anzulasten. »Verantwortlich ist das deutsche Schulsystem mit seiner viel zu frühen Aufteilung auf verschiedene Schulformen.« Für die Konzentration von Migrantenkindern und Problemschülern in den Hauptschulen zahle die Gesellschaft »einen hohen Preis.«
Aus den bisher vorliegenden PISA-Untersuchungen sei bereits bekannt, dass in Deutschland geborene Einwanderer-Kinder der »zweiten Generation« in Sachen Schulleistung deutlich schlechter abschneiden als die Migrantenkinder, die vor ihrem Zuzug in die Bundesrepublik noch einen Teil ihrer Schulzeit in ihrem Heimatland verbracht haben, sagte Demmer. Andere Industrienationen nutzten dagegen das »Begabungspotenzial« ihrer Zuwanderer deutlich besser, sagte Demmer.
Schleicher forderte eine Neuausrichtung der Kindergärten. »Die Drei- bis Sechsjährigen bekommen in erster Linie Betreuung und keine Bildung. Kindergärten und Schulen müssen deshalb besser integriert, Lehrer und Erzieher von Kitas ähnlich ausgebildet werden.«
Demmer forderte, bei ausländischen Eltern stärker für den Kindergartenbesuch zu werben. Mehr als 50 Prozent der Dreijährigen und immer noch 15 Prozent der Sechsjährigen Migrantenkinder besuchten keinen Kindergarten.
Auch der Direktor des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF), Eckhard Klieme, fordert, schwache Schüler so früh wie möglich zu fördern. Am Rande einer Fachtagung über die Ergebnisse der deutschlandweiten Studie DESI (Deutsch-Englisch-Schülerleistungen International) sagte der Pädagoge in Frankfurt, solche Kinder sollten schon im Kindergartenalter unterstützt werden.
Initiativ würden Lehrer und Eltern meist erst, wenn es bereits Probleme bei den Kinder gibt, sagte er. Gleichzeitig wies Klieme auf die Ergebnisse der DESI-Studie hin, wonach die Schulform ebenfalls erheblichen Einfluss auf die Leistungen der Schüler hat.
Die vor zwei Jahren durchgeführte und im Frühjahr dieses Jahres vorgestellte Untersuchung hatte unter anderem ergeben, dass Schüler von Gymnasien deutlich bessere Leistungen etwa im Fach Englisch erbringen als Schüler von Real- oder Hauptschulen. Bildungspolitisch könne man daraus nicht ableiten, das bestehende Schulsystem in Frage zu stellen. »Niemand kann absehen, welche Folgen ein Wechsel zu einem Einheitsschulsystem haben könnte«, sagte der Schulforscher. Dass das bestehende Schulsystem in Deutschland »unfair gegenüber leistungsschwachen Schülern ist«, habe man schon in den 1970er Jahren erkannt.

Artikel vom 15.05.2006