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Der Junge mit dem Fußball
braucht eine echte Chance

Renovabis erinnert an vergessene Armut in Ost-Europa

Von Reinhard Brockmann
Paderborn (WB). Fation Ruçja (13) ist Fußballer von ganzem Herzen, bettelarm und immer hungrig. Der Junge kickt auf Müllkippen und bei Don Marija Ukaj hinter der Kirche. Hier beginnt das Hilfswerk »Renovabis« - die einzige Chance für Fation aus Albanien, dem Armenhaus Europas.
Fation Ruçja, der Junge mit dem Ball, steht für 17 Millionen Osteuropäer in extremer Armut.

Die Turniere des Dorfpfarrers sind immer auch Sozialarbeit in Velipoja, wo jeder fünfte unter dem Existenzminimum lebt. »Alle jungen Leute träumen davon, ins Ausland zu gehen«, berichtete gestern in Paderborn Bischof Kiro Stojanov aus dem benachbarten Skopje. Auch in seinem Zwei-Millionen-Land leben die meisten von der Hand in den Mund. In Mazedonien gibt es gerade zwei Heime für Geistigbehinderte, die übrigen werden scham- und oft grauenvoll versteckt.
Im Osten Europas leben 17 Millionen in extremer Armut. Menschen, die überhaupt Arbeit haben, müssten mit gut 200 Euro im Monat auskommen, aber Lebenshaltungskosten fast wie im Westen bestreiten, ergänzt Terezia Tünde Löchli, Caritas-Chefin in Nordrumänien. Als der Eiserne Vorhang fiel Anfang der 90er, erinnert sich Frau Löchli, deren Vorname zu deutsch »Fee« bedeutet, sei es dunkel und kalt gewesen in Rumänien. Mit Renovabis, dem damals gegründeten katholischen Osteuropa-Hilfswerk, habe sich das Land auf den Weg gemacht aus der mentalen und spirituellen Dunkelheit heraus. »Auch heute ist die Lage in unserem Land noch weit von dem entfernt, dass wir von Normalität sprechen können«.
Viel zu viele Menschen blieben bei den rasanten Umbrüchen »draußen vor der Tür«, beklagt Erzbischof Hans-Josef Becker. Er wird am Sonntag im Hohen Dom zu Paderborn die 14. bundesweite Renovabis-Aktion eröffnen. »Diese Menschen gehören nicht zu den Profiteuren, sondern zu den Verlierern der Entwicklungen im Osten unseres Kontinents«.
»Glaube niemand, dass mit dem Beitritt von bald zehn osteuropäischen Ländern die sozialen Probleme gelöst sind«, warnt Renovabis-Geschäftsführer Pater Dietger Demuth. Gerade vor dem falschen Eindruck, mit dem Kapital käme das Soziale automatisch, will Renovabis bewahren.
»Vergessen ... im Osten Europas« lautet das Motto 2006. Mit 36,1 Millionen Euro konnten im vergangenen Jahr 1000 Projekte in 24 Ländern gefördert werden. Kirchlich-pastorale Aufgaben, Sozialarbeit, Schulung und Nothilfe wurden aus dem selbst im Tsunami-Jahr noch einmal gestiegenen Spendenaufkommen finanziert.
Fation Ruçja, der Junge mit dem Ball, steht 2006 für die Aktion auf tausenden Plakaten und Handzetteln. Keine schlechte Wahl im Jahr der Fußballweltmeisterschaft. Wie den deutschen Nachkriegskindern reiche ihm der billigste Plastikball - und er verdiene er eine Chance, wo es scheinbar keine gibt, heißt es dazu bei Renovabis. Der Junge muss aber auch Schutz erfahren. Denn jenseits der bitteren Armut stehen die Verlockungen des Geldes, die Versklavung junger Frauen sowie die Bedrohung durch Drogen, Aids und Banden.
Wo Regierungen wie in seinem Land, so Bischof Stojanov, einmal im Jahr Kongresse zur Bildung und Armut veranstalteten, aber ansonsten versagten, da müsse die Kirche das Soziale übernehmen, um der Menschen willen.

Artikel vom 12.05.2006