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Tagesausflug in eine andere Welt

Essaouira in Marokko hat sich seinen eigenen urbanen Charme erhalten

Von Thomas Albertsen
Sie warten geduldig auf ihre Chance, dann picken sie erbarmungslos zu: Möwen! Gierig versuchen sie auf der Hafenmole von Essaouira, leckeren Fisch zu ergattern.

In riesigen Schwärmen flattern sie über den Köpfen der Fischer, die mit langen Messern ihren Fang verkaufsfertig machen. Wenn es schon keinen ganzen Fisch zu ergattern gibt, dann wenigstens Köpfe und Innereien. Mindestens ebenso groß wie der Schwarm lästiger Vögel sind die Horden von kamerabewehrten Touristen, die sich auf diese Szenerie stürzen. Das Motiv ist aber auch zu gut: Die Arbeiter mit den aufgeregt flatternden Vögeln im Vordergrund, dahinter die malerische Kulisse der Altstadt von Essaouira.
Anfang des 16. Jahrhunderts von Portugals König Manuel gegründet, später von Piraten als Schlupfwinkel genutzt und 1760 von dem Franzosen Theodore Cornut neu geplant, präsentiert sich die Stadt ganz anders als andere marokkanische Siedlungen. Nirgendwo sonst findet sich eine schachbrettförmig wie auf dem Reißbrett entworfene Medina.
Die zur Fußgängerzone erklärte Altstadt steht in der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes - und es ist eine Freude, sie zu besuchen. Denn Essaouira ist nicht nur architektonisch anders als andere marokkanische Städte - auch das Benehmen der Menschen Fremden gegenüber entspricht nicht dem Nordafrika-Klischee. Keine bettelnden Kinder, die sich wie Kletten an die Urlauber hängen, keine Bakschisch-Abzocker, die den Urlaubern ihre Dienste als Fremdenführer aufdrängen, kaum ein Händler, der mit dem Spruch »nur kucken, nix kaufen« in seinen Laden einlädt.
Nur dieser Stadt in Marokko ist der Balanceakt, von der touristischen Konjunktur zu profitieren und gleichzeitig einen eigenen urbanen Charme zu bewahren, so mühelos gelungen. Vielleicht liegt es auch daran, dass der Ort vor allen Dingen von Marokkanern aus dem Binnenland als Alternative zum Badeurlaub in Agadir gewählt wird. Deutsche Touristen kommen in der Regel als Tagesausflügler.
Marktführer Neckermann bietet den Trip nach Essaouira allen Gästen an, die Strandurlaub in Agadir gebucht haben. Von dort aus dauert die Busfahrt etwa drei Stunden.
Mild und warm scheint die Wintersonne auf den breiten, von eleganten Hotels gesäumten Strand. Durch das Tonnengewölbe des Stadttors Bab es Sebaa tritt der Besucher in eine andere Welt. Geplärr aus altersschwachen Kassettenrekordern mischt sich mit dem Quäken des Muezzins, der die Gläubigen zum Gebet ruft. Die Moschee wird abgeschottet -Ênur Moslems haben dort Zutritt. Sei's drum, kulturhistorisch wertvoll ist sie nicht, vielleicht auch deshalb, weil Essaouira in seiner Blütezeit eine mehrheitlich jüdische Stadt war. Noch heute ist die riesige Mellah eines der dominierenden Viertel der Altstadt, auch wenn die Juden Essaouira den Rücken kehrten, als der Hafen seine Bedeutung an das drei Stunden südlich gelegene Agadir verlor.
An der Westseite der Medina lädt die Scala de la Kasbah zum Flanieren ein. Die großzügigen Festungsmauern dienten einst als Geschützstellung, heute als Promenade. In den ehemaligen Waffendepots haben Kunsttischler ihre Werkstätten eingerichtet.
Das sehenswerte Kunsthandwerksmuseum Sidi Mohammed Ben Abdallah ist derzeit leider geschlossen -Êes wird gründlich renoviert und umgebaut. Wann die Sammlung traditionellen Kunsthandwerks und alter Musikinstrumente wieder zu besichtigen ist, steht in den Sternen.
www.essaouiranet.com

Artikel vom 16.05.2006