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»Grundklima in Europa verbessern, dann hat die EU-Verfassung noch
eine Chance.«

Leitartikel
Europapolitik 2006

Eigentore
gewinnen das
Spiel nicht


Von Dirk Schröder
Vor einem Jahr ist die Europäische Union mit der Ablehnung der EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden in die größte Krise seit ihrem Bestehen geschlittert. Seitdem ist der Prozess der europäischen Einigung weitgehend lahmgelegt.
Das war seinerzeit ein Schock, doch kam dieser gerade noch zur rechten Zeit. Denn das Votum der Franzosen und Niederländer war ja kein Votum gegen Europa. Jahrzehntelang haben »die da« in Brüssel über die Köpfe der Bürger hinweg agiert, hat sich ein Bürokratieapparat aufgebläht, der seinesgleichen sucht. Und auch die Aufnahme immer weiterer Staaten in die EU wurde und wird von den Bürgern zunehmend kritischer gesehen. Mit der Vision eines vereinten Europas konnten die enttäuschten Bürger zuletzt auch nicht mehr überzeugt werden.
Ein Jahr haben die Politiker gebraucht, um ihre Sprachlosigkeit zu überwinden und sich von dem Schock zu erholen. Jetzt ergreifen fast zeitgleich Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso die Initiative, um Europa aus der Krise herauszuführen. Das geht nur mit mutigen Reformen, viele Chancen gibt es nicht mehr, um das Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen.
Ein Jahr lang hat man Zeit zum Nachdenken gehabt. Und zumindest Merkel und Barroso scheinen die Zeit genutzt zu haben, um mit richtigen Ansätzen Europa wieder in die Erfolgsspur zu bringen. Sie wollen - endlich - den Bürger in den Mittelpunkt ihrer Politik stellen, seine Fragen beantworten.
Die EU bleibt immer mehr als nur eine Zweckgemeinschaft, das müssten gerade wir Deutschen zu schätzen wissen. Doch heute sollten vorrangig Fragen nach sozialem Schutz und Arbeitsplätzen beantwortet werden. Hier müssen die Bürger vom Wert der EU überzeugt werden. Es wird Zeit, diesen Wust bürokratischer Reglementierungen drastisch zu verringern. Wenn schon die Politiker 25 Prozent für überflüssig halten, sind es in Wirklichkeit weitaus mehr. Brüssel muss nicht alles regeln, was am Ort viel besser geleistet werden kann.
»Wir können nicht so weitermachen«, hat Barroso richtig erkannt. Es fragt sich nur, ob ihm und Merkel alle Politiker folgen werden. Denn bisher war es ja gang und gäbe, Erfolge als eigene Erfolge und Schwierigkeiten als Problem Europas auszugeben.
Jetzt gilt es, das Grundklima in Europa zu verbessern, dann hat auch die Europäische Verfassung noch eine Chance. Denn es ist nicht wahr, dass diese Verfassung, die Europa braucht, um die künftigen Herausforderungen zu meistern, grundsätzlich abgelehnt wird. In Deutschland herrscht ein breite Übereinstimmung über die Notwendigkeit der EU-Verfassung, wie erst jüngst eine Umfrage ergab. Und 15 Staaten haben bereits zugestimmt. Skeptiker wie die Franzosen und die Niederländer lassen sich nicht mit einem Schnellschuss ins Boot holen, dazu wird noch Nachspielzeit benötigt. Diese sollten die Politiker aber nutzen, Mit Eigentoren gewinnt man das Spiel nicht.

Artikel vom 12.05.2006