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Nahtlos vom Clown zum Vollblutmusiker

Nigel Kennedy und das »Polish Chamber Orchestra«

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Nun ist man selbst im Konzertsaal vor dem runden Leder nicht mehr sicher. Nigel Kennedy, exzentrischer Geigen-Star und bekennender Fußballfan, feuerte am Ende seines Pro Musica-Auftritts den Ball ins linke Oetkerhallen-Eck. Hinterher flog sein Blumenstrauß und der von Dirigent Pieter Daniel gleich dazu.

Auch mit bald 50 Jahren gibt Kennedy den Punk-Paganini des etablierten Konzertbetriebes. Schlabberlook, Springerstiefel, Irokesenschnitt und Victory-Zeichen sind zu seinem Markenzeichen geworden und schocken schon lange keinen Konzertgänger mehr. Vielmehr wird in freudiger Erwartung den unabdingbaren Mäzchen des liebenswert schrulligen Geigers entgegengefiebert.
Dass sich britisch-klamaukhaftes Auftreten und ernsthaftes Musizieren nicht ausschließen müssen, unterstrich das Konzert mit dem in Großbesetzung aufmarschierten »Polish Chamber Orchestra« mit jedem Ton.
Immer wieder bei Kennedy verblüfft die nahtlose Wandlung vom Clown zum Vollblutmusiker, der beim Spiel völlig in die Musik und das Orchester einzutauchen scheint. Dazu hatte er zwei hochromantisch-klangsüffige Violinkonzerte gewählt: Das berühmte, riesenhafte von Edward Elgar sowie ein gänzlich unbekanntes des polinischen Komponisten Mieczyslw Karlowicz (1876 - 1909).
Seit Kennedy mit seiner polnischen Lebensgefährtin in Krakau seine Zelte aufschlug, hat er schon einige Entdeckungen in der Musik seiner Wahlheimat gemacht. Karlowicz Dreisätzer bietet ihm reichlich Gelegenheit, sein musikalisches Talent und Charisma intensiv auszuspielen. Besonders beeindruckend gelingt ihm das im lyrischen Mittelsatz, in dem sich Kennedy auf seiner Stradivari mit bezwingendem Vibrato aussingt, ehe er zum furiosen Stringtanz mit dem Bogen übergeht, dazu aufstampft und wild Umherhuscht. Ausdruck und Empfindung scheint Kennedy dabei den Vorrang zu geben vor funkelnder Brillanz und technische Sauberkeit. Dafür sind seine Interpretationen in ihrer tief gefühlten Intensität unverwechselbar und manchmal sogar ein wenig theatralisch, etwa wenn er gemeinsam mit seinem Konzertmeister den letzten Satz aus Bachs Doppelkonzert wie einen Stierkampf zelebriert.
Das riesenhafte Gebilde des Elgar-Violinkonzertes berührte durch seine sensible Gestaltung, besonders auch durch Pieter Daniels gut strukturiertes Orchester, das zu Beginn mit Elgars Streicherserenade e-Moll feinnervig unter Beweis gestellt hatte, dass es weit mehr kann, als den agilen Begleiter zu geben. Es steht zu seinem Showmaster, der mit flotten Sprüchen und einer hinreißenden Csárdás-Variation als Zugabe nach fast drei Stunden die Bühne und ein restlos begeistertes Publikum verließ.

Artikel vom 12.05.2006