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Schuldenbremsen ziehen nicht,
aber Subventionen sprudeln

1970 der letzte ausgeglichene Bundeshaushalt - Rasante Entwicklung

Von Rolf Dressler
Bielefeld/Berlin (WB). Allen Dauerbekundungen der Politik zum Trotz: Deutschlands Schuldenbremsen ziehen noch immer nicht. Dabei nimmt Vater Staat fast ohne Unterbrechung mehr Steuern und Abgaben ein. Dass dieser groteske Widerspruch - zu Lasten des Ganzen - fortbesteht, hat handfest konkrete Gründe.
Ende letzter Woche hatte die unerbittlich tickende Schuldenuhr den Symbolwert von 1,5 Billionen Euro Gesamtverpflichtungen überschritten. Die Politik horchte auf - und ging zur Tagesordnung über.
Modernes Schuldenmanagement: Peer Steinbrück

Das WESTFALEN-BLATT benennt wissenswerte Einzelheiten. Die ernüchternden Zahlen sind nicht etwa Geheimwissenschaft, sondern jedermann frei zugänglich. Sie bekommen zusätzliches Eigengewicht just in den Tagen, in denen die unerbittlich tickende Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler die traurige historische Rekordmarke von 1,5 Billionen Euro übersprang. Das sind 1 500 000 000 000 Euro, nach alter deutscher Währung also knapp drei Billionen D-Mark.
Gleichwohl hält sich der jetzige SPD-Finanzminister Peer Steinbrück ebenso wie auch schon seine Amtsvorgänger zugute, dass er und die Regierung, der er angehört, ein besonders »professionelles Schuldenmanagement betreibt, das sich moderner Finanzierungsinstrumente zur Minimierung der Zinslasten bedient«.
Zwar räumt Steinbrück ein, dass die Zinslasten wegen des Zu- wachses bei der Neukreditaufnahme für 2006 neuerlich zunehmen werden, aber »nicht so schnell«, wie manche Schwarzseher meinten. Im übrigen erklärt Steinbrück in der aktuellen Ausgabe des Magazins »Der Spiegel«, mit diesem Anstieg werde ja schließlich ein Investitionsprogramm für Wachstum und Beschäftigung finanziert.
Aufschlussreich ist der Blick auf die immer steilere Verschuldungskurve von Bund, Ländern und Gemeinden:
- Noch im Jahre 1980 betrug der Anteil der Staatsschulden im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt (also der volkswirtschaftlichen Gesamtsumme aller Waren und Dienstleistungen) 31,4 Prozent bei einem Haushaltsbudget von damals umgerechnet 236,6 Milliarden Euro.
- 1990, also im Jahr der Wiedervereinigung, kletterte die Schuldenquote auf 536,2 Milliarden bzw. 43,2 Prozent des Bruttosozialproduktes und legte im Jahr 2000 dramatisch auf 59,7 Prozent von 1211,2 Milliarden Euro zu.
- Kurz vor dem Jahreswechsel 2005/2006 zeigte die Schuldenuhr dann exakt 1488 Milliarden Euro bzw. 66,9 Prozent des Bruttosozialproduktes an, bevor Anfang Mai dieses Jahres, wie oben bereits erwähnt, nun auch schon der Pegel 1,5 Billionen »geknackt« wurde.
Genauso rasant verbreiterte sich in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten das Riesenloch im Bundeshaushalt.
1970 übrigens hatte es zum bislang letzten Mal einen ausgeglichenen Staatshaushalt gegeben.
Danach explodierten die Fehlbeträge: 14 Milliarden Euro im Jahresbudget 1980 von 96 Milliarden Euro; 24 Milliarden im Jahresbudget 1990 von 170 Milliarden Euro; 23 Milliarden im Jahresbudget 2000 von seinerzeit bereits 221 Milliarden Euro. 2005 standen dann 32 Milliarden Defizit zu Buche, und für das laufende Haushaltsjahr 2006 werden nun 38 Milliarden Euro Defizit erwartet.
Eine durchgreifende Trendwende, ein wirklich neuer politischer Konzeptansatz, scheint indes nach wie vor nicht in Sicht. Denn auch Peer Steinbrück, der so energisch auftretende Finanzminister der großen Koalition, pocht offenbar unverändert darauf, dass der Staat vor allem anderen seine Einnahmen, sprich: die Steuern und Abgaben von Bürgern und Unternehmen, »strukturell nachhaltig verbessern« müsse. Kundige Kritiker halten dem entgegen, der Staat habe in Wahrheit gar kein Einnahmeprobleme, sondern ein Problem mit seiner vielfach ungezügelten, ungeregelten und allzu freigebigen Ausgabenpolitik.
Das erscheint einleuchtend. Denn die staatlichen Subventionen summierten sich bereits im Jahre 2005 auf nahezu 60 Milliarden Euro, woraus wiederum zu wesentlichen Teilen der abermalige Anstieg des Jahresdefizits 2005 von Bund, Ländern und Gemeinden herrühren dürfte.
Seit längerem schon kritisiert namentlich das Kieler Institut für Weltwirtschaft, dass die jeweiligen Bundesregierungen den Begriff »Subventionen« ehrlicherweise erheblich breiter fassen müssten. So würden beispielsweise sehr viele Steuervergünstigungen nicht in die Subventionsbilanzen mit einbezogen. Dann aber beliefen sich die staatlichen Hilfen wahrscheinlich schon jetzt auf reale 140 bis 150 Milliarden Euro jährlich.
Gefruchtet haben solche Mahnungen bisher nicht. Leitartikel

Artikel vom 10.05.2006