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Widmet sich auch haarigen Themen: Prof. Dr. Erhard Heidt

Geschoren, gelockt oder verhüllt

Prof. Erhard Heidt erforscht die Bedeutung von Haaren - Hohe Symbolkraft

Von Sabine Schulze
Bielefeld (sas). Erst kam Camilla in die Schlagzeilen: Die Gattin des britischen Thronfolgers Prince Charles gibt monatlich horrende Summen für den Friseur aus. Dann wurde bekannt, dass auch Cherie Blair, die Angetraute des britischen Premiers, keine Kosten scheut, um sich vom Friseur ihres Vertrauens stylen zu lassen. Die Haare sind also etwas Besonderes. Und nicht von ungefähr wählen Frauen ihren Friseur fast mit mehr Bedacht aus als ihren Gynäkologen. Prof. Dr. Erhard Heidt, Fakultät für Pädagogik der Universität, befasst sich wissenschaftlich mit dem haarigen Thema. Der Kultursoziologe erforscht die Dinge des Alltags und den Umgang mit ihnen.

»Haare spielen seit Menschengedenken in allen Kulturen eine wesentliche Rolle«, betont er. Sie symbolisieren die Unterordnung unter eine bestimmte Disziplin - »Man denke nur an die kurzgeschorenen Köpfe der US-Soldaten oder die Tonsur der Mönche« -, sie sagen etwas über den Status - der Soziologiestudent wird vermutlich nicht unbedingt die Haartracht des Bankers wählen -, sie künden abrasiert womöglich von Schande, sagen etwas über das Verhältnis ihres Trägers zu Konvention und Gesellschaft und drücken nicht zuletzt die Zugehörigkeit zum Geschlecht aus.
»Die Haare einer Frau gelten als erotisch.« Die Sünderin Maria Magdalena wird immer mit offenem, langen Haar - mit dem sie Jesus die Füße trocknet - dargestellt. Die Loreley lockt mit ihrer blonden Mähne die Rheinschiffer auf die Felsen. Und Frauen, die unter die Haube kamen, bedeckten über Jahrhunderte fürderhin ihr Haupthaar. Muslima gehen auch heute noch in vielen islamischen Ländern verhüllt, »und auch für orthodoxe jüdische Frauen gelten Haarregeln: Sie kürzen ihre Haare und tragen eine Perücke, den Shejtl, darüber«, berichtet Heidt.
Aber auch für den Herrn der Schöpfung hat das Haar Symbolkraft: »Üppiges Haupthaar wird mit Virilität und Kraft assoziiert. Schon Samson verliert im Alten Testament seine Kraft, als ihm die Haare geschnitten werden.« Insofern, ergänzt Heidt, stehe die Tonsur der Mönche, die ja zur Askese bestimmt seien, nicht nur für die Unterwerfung unter Ordensregeln.
Über die Jahrhunderte änderten sich Haartrachten und -moden, waren Barbiere und Friseure findig. Mann und Frau trugen mal lang, mal länger, türmten ihre Pracht auf oder drehten sie zu kurzen Kräuseln oder üppigen Locken. Und im 17. Jahrhundert kam die Perücke auf: Man ging nicht oben ohne, der Hofperukier des Großen Kurfürsten wurde besser bezahlt als sein Hofmedicus, und die Stadt Berlin entdeckte 1698, dass sich hier eine Einnahmequelle erschließen ließ und führte die Perückensteuer ein. Ein königlicher Stempel im Inneren galt als Nachweis, das sie entrichtet war.
Zum Haarteil bekennt sich heute kein Mann mehr, zum Haarefärben auch nur selten. Wenn er eine Pläte kaschieren soll, dann doch bitte unauffällig. Sein Haar ist heute kurz geschnitten, die Damenwelt hat, sagt Heidt mit leichtem Bedauern in der Stimme, mehr Gestaltungsfreiheit, kann das Haupthaar zum Zopf geflochten, aufgesteckt, zu Ringel- oder Korkenzieherlocken gedreht, mit Pferdeschwanz und Pony oder aber raspelkurz oder durchgestuft tragen.
Dafür aber sind Haare an Beinen oder in den Achseln verpönt. »Und alljährlich im Frühsommer gibt es Tipps, wie sie am besten zu entfernen seien: Mit Wachs, Creme, Schaum, Pinzette oder Rasierapparat.« Diesen Tort muss sich der Mann wiederum nicht antun - es sei denn, er folgt dem aktuellen Trend und rasiert sein Brusthaar. Mit in Form gezupften Augenbrauen aber würde er sich garantiert der Lächerlichkeit preisgeben. Umgekehrt, berichtet Heidt, gibt es eine US-amerikansiche Studie, nach der Frauen, die sich als bekennende Feministinnen und Lesbierinnen bezeichneten, dem Trend »zurück zur Natur« folgen und ihre Körperhaare wachsen lassen, wo sie wollen.
Die Haartracht verrät eben auch etwas über das Bewusstsein: »Trug und trägt man die Haare anders als die Herrschenden oder die Masse, will man sich absetzen.« Die Hippies wählten eine Jesusfrisur (und das Musical, das am besten das Zeitgefühl ausdrückte, hieß bezeichnenderweise »Hair«), die Skins entscheiden sich für den Kahlschlag und die Punks für eine Kombination von Rasur, Irokesenkamm und Farbe.
Provozierend wirkt das alles heute aber kaum noch. Dennoch verneint Heidt trotz dieser Vielfalt, dass alles erlaubt sei: »Es gibt in jeder Gesellschaft Regeln.« Der Dresscode gilt nach wie vor und auch für die Haare: »Als Student kann man noch mit einem Zopf wie Mozart herumlaufen, im Berufsleben ist das vorbei, wenn man nicht gerade in die Werbung oder einen anderen kreativen Beruf geht.« Ein Punker bei der Deutschen Bank? Wohl kaum.
Nicht ohne Bedeutung ist auch die Haarfarbe. »Blondinen bevorzugt« hieß nicht nur ein Film mit Marilyn Monroe. »50 Prozent der amerikanischen Schauspielerinnen sind blond. Laut Statistik gibt es aber nur fünf Prozent Naturblonde.« Auch in Groschenromanen, hat Heidt analysiert, ist die Heldin nie dunkel. Und auch wenn Ende des 17. Jahrhunderts schwarz und kastanienbraun angesagt waren (geriebene Muskatnuss machte die Haare dunkler), so gilt seit Jahrzehnten blond als sexy. Auch Blondinenwitze haben daran nichts ändern können.
Haarige Anspielungen gibt es in der Sprache ohnehin zuhauf: ob es um das berühmte Haar in der Suppe geht, behaupet wird, »lange Haare, kurzer Verstand« oder »krause Haare, krauser Sinn« oder Dinge an den Haaren herbeigezogen werden.

Artikel vom 12.05.2006