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Dänemark bietet Arbeit im Überfluss

Aufschwung seit fast 15 Jahren ungebrochen - »Flexicurity-System« wirkt

Von Thomas Borchert
Kopenhagen (dpa). Der Arbeitsmarkt in Dänemark boomt, freie Stellen wachsen explosiv. Laut Danske Bank wurden im zweiten Quartal 2005 mit vermutlich 122 000 Stellen so viele neue Jobs ausgeschrieben wie nie zuvor.

Gleichzeitig meldete das Arbeitsministerium in Kopenhagen für April mit 4,8 Prozent die niedrigste Arbeitslosenquote seit dreißig Jahren. Bis zum Jahresende sei mit einem weiteren Fall der Erwerbslosenrate auf 4,3 Prozent zu rechnen. Der Arbeitgeberverband DA hat mehrfach vor einem Arbeitskräftemangel gewarnt. Die Arbeitsvermittlung sowie Branchenorganisationen bestätigten, dass sie vor allem in Dänemarks Nachbarländern Deutschland und Schweden nach Arbeitskräften suchen.
So locken führende Unternehmen für Elektroinstallation, norddeutsche Handwerker über die Grenze. »Die können sonst ihre Verpflichtungen beim Verlegen von optischen Kabelnetzen nicht erfüllen«, berichtete Thorkild Bang vom Branchenverband Tekniq. Dänemark hat seit fast fünfzehn Jahren einen ununterbrochenen Wirtschaftsaufschwung mit sehr erfolgreich operierenden Klein- und Mittelbetrieben erlebt.
Daneben gilt als wichtigster Grund für den so gut funktionierenden Arbeitsmarkt das »Flexicurity«-System: Arbeitgeber können sehr schnell und ohne größere Hemmnisse durch Gesetze oder Tarifverträge Beschäftigte auch in größerer Zahl entlassen, wenn sich eine Flaute einstellt. Sie stellen aber auch sehr schnell und flexibel wieder ein. Umgekehrt wird den Beschäftigten dieses System eines hohen Arbeitsplatzrisikos mit einer sehr langen, insgesamt vierjährigen Absicherung über Arbeitslosengeld und andere soziale Sicherungssysteme schmackhaft gemacht.
Der Chefökonom von Danske Bank, Steen Bocian, nannte die Lage auf dem Arbeitsmarkt »glühend rot«. Die Zahl von Branchen mit akuten Engpässen bei der Beschaffung von Arbeitskräften habe sich in zwölf Monaten verdoppelt. Dazu zählten neben der Baubranche und dem Handwerk unter anderem so unterschiedliche Bereiche wie der Finanzsektor, Ingenieurberufe, Botendienste und das Gesundheitswesen.
Vor allem in Ballungsgebieten suchen Industriebetriebe ebenso händeringend nach Maschinenarbeitern wie Krankenhäuser nach Pflegepersonal. Beschäftigte im Banksektor, die in den 90er Jahren auch in Dänemark als »totgeweihte« Opfer endloser Rationalisierungswellen galten, können heute schon fast nach Belieben mit kräftigen Gehaltsaufbesserungen den Arbeitgeber wechseln. Ihr Einkommen stieg im vergangenen Jahr durchschnittlich um neun Prozent.
»Wir Dänen haben uns noch nie so sicher in unseren Jobs gefühlt wie jetzt«, hieß es diese Woche im Industrieverbands-Blatt »Business«. 79 von 100 Befragten hätten diesem Gefühl bei einer Umfrage Ausdruck verliehen.

Artikel vom 11.05.2006