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Das Handwerk in Europa

Bedeutung, Chancen und Herausforderungen

Von Lena Strothmann
Bielefeld (WB). Handwerksbetriebe sowie kleine und mittlere Unternehmen sind nicht nur das Rückgrat der deutschen, sondern der europäischen Volkswirtschaften. Sie machen das Gros aller Unternehmen aus und stellen zwei Drittel aller Arbeitsplätze. Sie ermöglichen jungen Menschen eine qualifizierte Ausbildung und liefern dem Verbraucher ein breites Angebot an Produkten und Dienstleistungen.

Europa gewinnt dabei als Wirtschaftsraum täglich an Bedeutung für unser deutsches Handwerk. Mehr als 60 Prozent aller wirtschaftsrelevanten Entscheidungen haben bereits ihren Ursprung in Brüssel und Straßburg. Aktuelle Beispiele dafür sind die Richtlinie für Dienstleistungen oder die Anerkennung von Berufsqualifikationen, die das Handwerk beschäftigen.
Mit der »Europäischen Dienstleistungsrichtlinie« sollen die rechtlichen und administrativen Hindernisse für den Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedsstaaten beseitigt werden, damit ein durchlässiger europäischer Markt für Dienstleistungen - die immerhin 70 Prozent der Wirtschaft ausmachen - entstehen kann.
Trotz der Binnenmarktfreiheit stoßen Dienstleister heute noch auf verschiedene nationale Hindernisse, wenn sie sich in einem anderen Mitgliedstaat niederlassen oder auch nur vorübergehend tätig sind. Weil es mittlerweile viele Urteile und Klagen dazu gibt, hat sich die Kommission 2004 des Themas angenommen und die besagte Richtlinie entworfen. Seit seiner Veröffentlichung vor mehr als zwei Jahren war der »Bolkestein-Entwurf« umstritten, vor allem wegen des in der Richtlinie verankerten Herkunftslandprinzips. Danach sollte jeder Erbringer von Dienstleistungen nach den Standards seines Heimatlandes tätig werden. Hierfür gibt es Befürworter und Gegner.
In den Verhandlungen im Europäischen Parlament bestand bisher das Kunststück darin, wie ein fairer Leistungswettbewerb in Europa ermöglicht und gleichzeitig ein Schutz vor Lohn- und Sozialdumping sichergestellt werden kann. Ein Schutz bestehender Qualitätsnormen soll dabei nicht bedeuten, dass Schikane oder unerfüllbare Pflichten die Erbringung grenzüberschreitender Dienstleistungen begleitet. Aber der Verbraucher muss beispielsweise handwerkliche Qualität vergleichen können und wissen, wer im Falle eines Schadens dafür aufkommt.
Im gefundenen Kompromiss des Europäischen Parlaments, der zur Änderung des Entwurfs geführt hat und noch von Europäischem Ministerrat und Parlament abgesegnet werden muss, wird den vorgetragenen Sorgen über Sozial- und Lohndumping Rechnung getragen. Das Herkunftslandprinzip wurde gestrichen und durch den freien Dienstleistungsverkehr ersetzt. Unser Arbeits- und Sozialrecht sowie die Anerkennung der Berufsqualifikationen bleiben dabei bestehen. Auch die Entsenderichtlinie bleibt unbehelligt, da die entsprechenden strittigen Artikel gestrichen werden sollen.
Natürlich kann dies nicht allen Betrieben die Sorge vor einem härteren Wettbewerb in einem erweiterten Europa nehmen. Die Diskussion um Scheinselbständige auf deutschen Baustellen oder Ein-Mann-Betriebe aus den neuen Mitgliedstaaten, die weit unter unserem Preisniveau Fliesen verlegen, hat die Diskussion über illegale Auswüchse angeheizt. Hier geht es darum, Gesetzeswidrigkeiten aufzuspüren und gleichzeitig die Wettbewerbsbedingungen für unsere Betriebe so zu verbessern, damit sie sich der neuen Konkurrenz stellen können. Dafür braucht es bei uns weitere Reformen gerade bei den sozialen Sicherungssystemen und Investitionen in Bildung, um die Lissabon-Ziele zu erreichen.
Aber wir im deutschen Handwerk müssen uns auch bewegen. Wir dürfen nicht vergessen, was die Europäische Union und der Euro-Raum für ungeheure Chancen für unser Handwerk bereithält - Stichwort Einkauf und neue Absatzmärkte.
Die fortschreitende Globalisierung setzt natürlich Mobilität voraus, die es gerade für unsere Jugend zu entdecken gilt. Dazu gehören neue Bildungsinhalte und -module, die auch Sprachen und neue Kommunikationstechnologien beinhalten. Darauf werden wir die Bildung im Handwerk ausrichten, damit sie nicht nur unsere Lehrlinge besser vorbereitet, sondern auch im Ausland vermarktet werden kann.
Machen wir uns also die Chancen zunutze, die ein großer europäischer Binnenmarkt bietet. Denn unsere Wertarbeit wird bei steigendem Wohlstand zum Beispiel in Osteuropa vermehrt nachgefragt werden. Deutsches Knowhow und »made in Germany« haben einen sehr guten Ruf in der Welt.

Artikel vom 18.05.2006