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Rücktrittswelle in
Polens Führung

Nationalistische Koalition im Umbau

Warschau (dpa). Die Bildung einer konservativ-nationalistischen Koalition in Polen und der damit verbundene noch stärkere Rechtsruck hat eine Rücktrittswelle in der Regierung ausgelöst.

Nach Außenminister Stefan Meller hat nun auch Irena Lipowicz, die Deutschland-Beauftragte der polnischen Regierung, ihren Rücktritt eingereicht. Gesundheitsminister Zbigniew Religa überbrachte gestern Ministerpräsident Kazimierz Marcinkiewicz ebenfalls sein Rücktrittersuchen, nicht ganz überraschend.
Der Regierungschef lehnte es jedoch »vorerst« ab, den parteilosen Experten gehen zu lassen, teilte ein Regierungssprecher mit. Zunächst solle die anstehende Parlamentsdebatte über die Reform des Gesundheitswesens vorbereitet werden. Der Nachfolger Mellers soll voraussichtlich heute bekannt werden, hieß es weiter.
»Der Grund meines Rücktrittsgesuchs war der Eintritt von (dem radikalen Bauernführer) Andrzej Lepper in die Regierung«, sagte Lipowicz gestern in Warschau. Lipowicz, die von 2000 bis 2004 Botschafterin Polens in Österreich war, wurde im November 2004 zur Deutschland-Beauftragten ernannt.
Die national-konservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die bisher ohne Mehrheit im Parlament war, regiert seit Freitag mit der von Lepper geleiteten populistischen Bauernpartei Samoobrona und der nationalistischen Liga Polnischer Familien. Beide Parteien haben sich in der Vergangenheit gegen den EU-Beitritt Polens ausgesprochen. Politiker der LPR waren wegen antisemitischer Äußerungen kritisiert worden. Die Gleichstellung Homosexueller lehnt die LPR ebenso ab wie ein liberaleres Abtreibungsrecht.
Lepper, der in der Koalition Landwirtschaftsminister und stellvertretender Regierungschef ist, musste gestern nach dem politischen Erfolg eine Niederlage vor Gericht einstecken. Das Berufungsgericht in Warschau bestätigte ein Urteil gegen den Samoobrona-Vorsitzenden. Das Bezirksgericht Warschau hatte Lepper im vergangenen Jahr zu einer Geldbuße und einer Haftstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Lepper musste sich in dem Verleumdungsverfahren für Anschuldigungen gegen damalige Regierungsmitglieder verantworten, denen er vorgeworfen hatte, Geld von Unternehmern und Gangstern anzunehmen.

Artikel vom 09.05.2006