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Das Wissen der Ruheständler
Der deutsche Arbeitsmarkt ist schon bald auf die »jungen Alten« angewiesen
In Deutschland liegen unschätzbare Werte in Form von nicht mehr genutztem Wissen hochqualifizierter Ruheständler brach.
Zwar wurde die »Generation 50 plus« von der Wirtschaft längst als kaufkräftige, anspruchsvolle Kundschaft erschlossen. Nur langsam aber entdecken Unternehmen den Wert dieser Altersgruppe für den Arbeitsmarkt.
Tatsächlich liegt das durchschnittliche Eintrittsalter in die Altersrente deutlich vor der gesetzlichen Grenze von 65 Jahren. Experten aber halten selbst diese angesichts der demografischen Entwicklung für zu früh gesetzt.
Im Jahr 2050 wird nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes die Hälfte der Bevölkerung älter als 48 Jahre und ein Drittel älter als 60 Jahre sein. Zurzeit ist die Generation der 35- bis 49-Jährigen mit 20 Millionen noch die stärkste. Bis zum Jahr 2020 geht sie jedoch auf 16 Millionen zurück.
Schon in drei bis vier Jahren rechnen Experten daher mit einer deutlich spürbaren Verschärfung des Fachkräftemangels. »Für viele Firmen wird der einzige Ausweg sein, sich die Qualifikationen der Älteren zu erhalten«, sagt Steffen Haas, Geschäftsführer der ED Gesellschaft für Expertenwissen mbH. Oder anders ausgedrückt: Die deutsche Volkswirtschaft kann es sich bald nicht mehr leisten, ihre qualifizierten Kräfte schon mit 65 oder gar früher aufs Altenteil zu schieben.
Der Wert der Qualifikationen, der von heute auf morgen per Ruhestand auf null abgeschrieben wird, ist beträchtlich. »Die Aus- und Weiterbildung von hochqualifizierten Fach- oder Führungskräften kostet bis zu 800 000 Euro«, erklärt Professor Hans Bauer, Direktor des Instituts für marktorientierte Unternehmensführung der Universität Mannheim. »Daraus lässt sich der Wert des im Ruhestand brachliegenden Wissens auf mehr als eine Billion Euro schätzen.« Für eine hochentwickelte Volkswirtschaft sei es eine Katastrophe, wenn soviel Potenzial nicht genutzt wird«, meint Hans Bauer.
Nach Meinung von Erhard Hackler, geschäftsführender Vorstand der Deutschen Seniorenliga e.V. German Seniors in Bonn, wird in keiner Weise der Tatsache Rechnung getragen, dass die heute 70-Jährigen in Deutschland körperlich und geistig oft so fit sind wie die 60-Jährigen vor 30 Jahren. »In vielen Fällen treten die Menschen heute auf dem Höhepunkt ihres Wissens aus dem Berufsleben aus«, so Hackler. Immerhin mehren sich die Stimmen von Experten, die auf künftige Probleme bei der Beschaffung von Fachkräften hinweisen. So empfiehlt etwa Professor Axel Börsch-Supan, Direktor des Mannheim Research Instituts for the Economics of Aging (MEA), dass Unternehmen schon jetzt klare Vorstellungen davon entwickeln sollten, wie sie künftig den Bedarf an Fachkräften decken wollen. Ein Ausweg kann es sein, ältere Mitarbeiter länger im Betrieb zu halten und weiterzuqualifizieren.

Artikel vom 13.05.2006