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Besserwisser und Bundestrainer

»Wir im Finale« - die Aufführung dauert wie das Spiel 90 Minuten

Von Burgit Hörttrich
Bielefeld (WB). Die Wahrheit liegt auf'm Platz. Werden WIR es schaffen? Immerhin: WIR sind im Finale. Da heißt es mitfiebern, anfeuern, auf den Schiri schimpfen - draußen, liebe Zuschauer, vor den Fernsehgeräten. »Wir im Finale« von Marc Becker hatte im Bielefelder TAMzwei Premiere: ein Abend für alle, die Fußball lieben. Ein Abend für alle, die Fußball hassen.

Zuschauer (also WIR) beobachten Zuschauer (auch WIR). Eine Kneipe, eine unverkennbar deutsche Kneipe. Kellner und acht Gäste - Besserwisser, Bundestrainer, der Proll im verblassten Hawaii-Hemd und Trainingshose im Rehhagel-Stil, die Frau, die sich vor allem für die Frisuren der Spieler interessiert, der Intellektuelle, der regelmäßig seine Pillen nehmen muss und gern noch eine Kleinigkeit essen würde - verfolgen das Spiel.
Und kommentieren es mit hohlen Trainer-Phrasen (oder sind es doch Politiker-Sätze?), mit Ausschnitten aus Spieler-Interviews und Sportreportagen. Jeder kann mitsprechen, jeder hat etwas zu sagen, jeder macht sich den anderen zum Freund oder zum Feind oder umgekehrt. Die Deutschland-Fähnchen sind winzig, kaum zu erkennen und doch: WIR wollen spüren, dass WIR dazu gehören. Dass WIR siegen können. Wenn WIR uns nur zusammenreißen, Leistung zeigen, an ein gemeinsames Ziel glauben. Dann geht es wieder aufwärts. Und WIR sind dabei.
Manchmal aber ist das Spielfeld zu lang für Doppelpässe und der Linksverteidiger hat zwei linke Füße, die obendrein noch ungeeignet dazu sind, auch mit rechts zu schießen. Und dann auch noch das: ein Tor für den Gegner.
So verfolgen die Zuschauer jene Zuschauer. 90 Minuten lang. So lang ist ein Fußballspiel nun einmal. So lang hätte aber »Wir im Finale« nicht sein müssen - mehr Tempo auf'm Platz und mehr Tempo auf der Bühne, straffere Spielzüge, das hätte nicht geschadet Andererseits: Die neun Schauspieler (Oliver Baierl, Ines Buchmann, Andreas Hilscher, Christina Huckle, Stefan Imholz, Claudia Mau, Ulrike Müller, Karla Trippel, John Wesley Zielmann) schaffen es, jeweils eigene Charaktere aus dem Text-Teppich zu schälen, man merkt ihnen den Spaß an der Sache an, die Spielfreude. Die Befindlichkeiten der Spieler - mal gehasst, dann wieder heiß geliebt, und wenn es nur wegen der gegelten Stirnfransen ist - sie scheint die Befindlichkeit der Zuschauer zu spiegeln. Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt. Und: »Habe ich es nicht immer schon gesagt? Aber auf mich hört ja keiner. . .«
Enttäuscht sein werden diejenigen, die von Regisseur Patrick Schimanski eine Art Fingerzeig erwarten: »Wir im Finale? Und dann - ein Sieg?« Ein Elfmeter, das ja. . .
Aber wir wollen das jetzt hier nicht hochsterilisieren und den Sand nicht in den Kopf stecken. WIR müssen uns auf unsere Tugenden besinnen.
Noch 31 Tage.
Dann beginnt sie, die WM.

Artikel vom 09.05.2006