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Paragraphen kein Ersatz
für Erziehung in der Familie

BfB-Podium diskutierte über das Jugendschutzgesetz

Von Gerhard Hülsegge
(Text und Foto)
Bielefeld (WB). »Ist das Jugendschutzgesetz noch zeitgemäß?« Diese Frage stand im Mittelpunkt einer Podiumsdiskussion, zu der die Bürgergemeinschaft für Bielefeld (BfB) am Freitag in den kleinen Saal der Ravensberger Spinnerei eingeladen hatte. Die Antwort fiel erwartungsgemäß unterschiedlich aus. Einig war man sich indes darin, dass Eltern eine hohe Portion Verantwortung zukommt.

So wies Moderator Gerd-Peter Grün gleich zu Beginn darauf hin, dass sich jene Paragraphen, die unter anderem regeln, ab welchem Alter man in der Öffentlichkeit rauchen oder Alkohol trinken darf, nicht - wie man vermuten könnte - an die Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren, sondern an die Erwachsenen, etwa Gaststättenbetreiber, wendet. Ihnen wird zum Beispiel untersagt, Bier und Wein erst an 16-Jährige, alkoholische Mix-Getränke an 18-Jährige zu verkaufen.
»Nicht beeinträchtigt« fühlt sich dadurch Vlora Bikliqi, Schülervertreterin der Brodhagenschule. Eltern machten ohnehin ihre eigenen Gesetze, über die man sich entweder durch Mithilfe im Haushalt oder Flunkerei (»der Bus fährt erst später, ich übernachte bei einer Freundin«) hinweg setze.
Brodhagen-Schulleiter Jürgen Hollmann betonte, viele Eltern seien heute gar nicht mehr in der Lage, ihre Kinder zu erziehen, müssten bei der Arbeiterwohlfahrt erst wieder Gesellschaftsspiele erlernen, um ihre Kinder vom Fernseher weg zu bekommen. Der Pädagoge: »Wir haben mehr Probleme mit deutschen als mit ausländischen Eltern.«
Erschreckt darüber, wie einfach es sei, etwa bei Konzerten an Drogen zu kommen, zeigte sich Joachim Müller, Vorsitzender der Bielefelder Stadtschulpflegschaft. »Wir kontrollieren regelmäßig in Diskotheken«, betonte Klaus Nägler, Jugendbeauftragter der Polizei. Nur selten stelle man Verstöße fest.
Anders, so der Kriminaloberkommissar weiter, verhalte es sich bei so genannten Spontan-Veranstaltungen wie Abi(tur)-Feten. Die des Cecilien-Gymnasiums hatte unlängst für Schlagzeilen gesorgt, nachdem die Polizei bei einer Kontrolle mehrere 13-JährigeÊ angetroffen und nach Hause geschickt hatte. »Dramatisch wirdÕs erst, wenn sie im Rotlicht-Milieu herumlaufen«, befand Christian Friehoff, Richter am Amtsgericht. Mehr Sorge bereiten auch Dezernent Rainer Ludwig die Wettbüros und Internet-CafésÊin der Stadt sowie der unkontrollierte Zugang zu Gewalt-Videos.
Elke Mann, Beratungslehrerin an der Theodor-Heuss-Realschule in Sennestadt, bestätigte, dass bereits in 9. Klassen Porno-Sequenzen und Gewalt-Videos auf Handys Gang und Gäbe seien. »Langeweile und zu teure Freizeitangebote sind der Grund«, sagte sie. Das Problem sei mit Gesetzen aber nicht zu lösen, Prävention, also VorbeugungÊsei ebenso wichtig wie Elternberatung und eine neue Wertediskussion.
Gastronomen hätten schon rein ökonomisch kein Interesse daran, gegen das Jugendschutzgesetz zu verstoßen, meinte Thomas Keitel, als Vorsitzender des Hotel- und Gaststättenverbandes im Publikum vertreten. Um Geld zu sparen, gingen viele Jugendliche zum »Kofferraumtrinken« über, versorgten sich also erst mit Billig-Alkohol von der Tanke und gingen dann - meist erst ab 23 Uhr - ins Lokal. Er schlug vor, bei Schlägereien oder anderen Verstößen durch Jugendliche an videoüberwachten Stadtbahnhaltestellen akustisch mittels Durchsagen durch das Aufsichtspersonal eingreifen zu lassen. BfB-Sprecher Grün versprach, diesen Vorschlag aufzugreifen. Das Jugendschutzgesetz ist bereits zum 1. Januar 2007 geändert worden. Dann müssen unter anderem Zigarettenautomaten so installiert sein, dass Jugendliche unter 16 Jahren nicht mehr dran kommen.

Artikel vom 09.05.2006