08.05.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Die Bluttat des Jahrhunderts«

Vor 25 Jahren fielen in Rom die Schüsse auf Papst Johannes Paul II.

Von Carola Frentzen
Rom (dpa). Die Bilder gingen wie ein Lauffeuer um die Welt: Es ist der 13. Mai 1981, als plötzlich während der Generalaudienz Schüsse über den Petersplatz peitschen.

Der ganz in Weiß gekleidete Papst Johannes Paul II. bricht vor Schmerzen in seinem offenen Papamobil zusammen. Kardinäle und Helfer werfen sich schützend über den Heiligen Vater, der schwer an Magen und einer Hand getroffen worden ist. Täter war der Türke Mehmet Ali Agca, so viel ist sicher. Jedoch wurden die genauen Hintergründe des Papst-Attentats bis heute nicht geklärt. »Verbrechen des Jahrhunderts«, nennen Gläubige in Rom noch heute die Tat, die vor genau 25 Jahren die Welt erschütterte.
»Der Papst verlor sichtlich Blut, die Todesgefahr nahm von Sekunde zu Sekunde zu«, sagt ein Augenzeuge in dem Buch »Gli angeli custodi del Papa« (Die Schutzengel des Papstes) von Glauco Benigni. Zwei Mal musste Karol Wojtyla in der Gemelli-Klinik operiert werden, insgesamt 26 Tage lag er im Krankenhaus.
Kaum eine andere Bluttat unserer Zeit hat derart rätselhafte und mysteriöse Begleitumstände, um kein anderes Verbrechen ranken sich so viele Spekulationen und Gerüchte - begleitet vom beharrlichen Schweigen des Vatikans. Zudem steht bis heute auch noch die Frage im Raum, ob Ali Agca tatsächlich als Einzeltäter gehandelt hat oder einen Komplizen hatte. Fotos von jenem verhängnisvollen Tag zeigen eine zweite Pistole, die aus der Menschenmenge auf dem Petersplatz ragte, während der Papst zusammenbrach. Auch wurden drei Kugeln gefunden, von denen jedoch nur zwei aus der Waffe des Türken stammten. Heute sitzt Ali Agca im Hochsicherheitsgefängnis von Kartal im asiatischen Teil Istanbuls - er muss noch bis 2010 in Haft bleiben.
Als mögliche Drahtzieher des Papst-Attentats gelten seit jeher östliche Geheimdienste. Von einer »bulgarischen Spur« war immer wieder die Rede, von Agenten aus Sofia, die auf Befehl Moskaus handelten, um den unbequemen Anti-Kommunisten Karol Wojtyla aus dem Weg zu schaffen. Johannes Paul selbst sah das anders und erklärte 2002 bei einer Bulgarien-Reise: »Ich habe nie an die so genannte bulgarische Spur geglaubt, weil ich das bulgarische Volk sehr schätze und respektiere.«
Wenn auch die Hintergründe der Tat nicht geklärt werden konnten, scheint es für Katholiken in aller Welt immerhin eine »überirdische« Erklärung für das Überleben Johannes Pauls zu geben: Dabei geht es um den portugiesischen Ort Fatima, in dem am 13. Mai 1917 drei Hirtenkindern die Jungfrau Maria erschienen war - genau 64 Jahre vor den Schüssen auf dem Petersplatz.
»Eine mütterliche Hand hat die Flugbahn der Kugel geleitet«, sagte der Papst aus Polen später mit Blick auf die Madonna von Fatima - und ließ eine der Attentats-Kugeln in die Krone der Marienstatue einsetzen.

Artikel vom 08.05.2006