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Offene Fragen steigern
die Spannung im Krimi

Agatha-Christie-Stück auf der Theaterbühne

Von Wilhelm Friedemann
(Text und Foto)
Bad Oeynhausen (WB). Nicht nur Mozart, Freud und Schostakowitsch feiern in diesem Jahr ein Jubiläum - auch Agatha Christies Werke stehen aufgrund ihres Todestages, der sich am 12. Januar zum 30, Mal jährte, vermehrt auf der Bühne. Das Westfälische Landestheater Castrop-Rauxel spielte am Donnerstag das Kriminalstück »Ein Fremder klopft an« im Theater im Park. Peter Goldbaum lieferte die deutsche Fassung des Bühnenwerkes von Frank Vosper, das nach einer Kurzgeschichte von Agatha Christie 1936 entstand.

»Ein Fremder klopft an« ist seit Jahrzehnten ein Riesenerfolg auf den internationalen Bühnen, und da verwundert es nicht, dass die Geschichte gleich dreimal verfilmt wurde, zuletzt 1967 in der Regie von Kurt Früh mit Gertrud Kückelmann und Heinz Bennet in den Hauptrollen.
Naiv, jung und unschuldig wirkten Cecily (Iris Hochberger) und ihre Freundin Mavis (Simone Kabst), die beide einen großen Batzen Geld in der Lotterie gewonnen haben, als sie ihre gemeinsame Wohnung auflösten, damit Cecily ihren Verlobten heiraten kann. Hals über Kopf verliebt sich Cecily in den Nachmieter Bruce Lovell, genial von Guido Thurk dargestellt, heiratet ihn und zieht mit ihm in ein einsames Haus auf dem Land.
Dem Zuschauer scheint die Situation allmählich klar zu sein: Lovell ist ein Betrüger. Er hat Cecily ihr Geld abgenommen und vermeidet den Kontakt zur Außenwelt, damit ihm niemand auf die Schliche kommt. Mit der Zeit kristallisiert sich sogar heraus, dass es sich bei Lovell in Wirklichkeit um den gesuchten mehrfachen Frauenmörder Bellingham handelt, der immer mehr Anflüge von Wahnsinn zeigt.
Doch irgendetwas stimmt hier nicht. Lovell wird von Anfällen geplagt und neigt in zunehmendem Maße zur Tobsucht. Trotzdem attestiert ihm der benachbarte Arzt Dr. Gribble eine solide Gesundheit. Aber es dauert einige Zeit, bis sich Zweifel an der bisherigen Stringenz der Geschichte beim Zuschauer einstellen. Und genau hier hatte das Stück gewisse Längen, da ihm in dieser Phase kaum eine Entwicklung anzumerken war.
Lediglich die phantastischen Auftritte des immer wahnsinniger werdenden Bruce Lovell sorgten für Unterhaltung in bester Kinski-Manier. Von kleiner Gestalt und mit kurzen blondierten Haaren bestand sogar eine äußerliche Ähnlichkeit mit dem 1991 verstorbenen Schauspieler. Und mit seiner eindringlichen Mimik hielt Guido Thurk die Personen auf der Bühne und das Publikum in Atem.
Um so drastischer und verblüffender gelang das Ende. Lovell hatte alles vorbereitet, um seine Ehefrau umzubringen und offenbarte ihr seine dunkle Vergangenheit, als Cecily plötzlich versuchte, den Spieß umzudrehen und ebenfalls von sich behauptete, eine Mörderin zu sein, die ihre Serie jetzt fortsetzen will. Iris Hochberger spielte die Rolle der »kleinen« Sekretärin so perfekt, dass man ihr zunächst diese Geschichte nicht glaubt.
Doch nach und nach fügte sich alles wie Puzzleteile zusammen. Dr. Gribble war Cecilys Komplize, und Lovell ist längst durch dessen Medizin vergiftet worden. Der Einfall in Christian Scholzes Inszenierung, beide Personen - Cecilys Verlobten Nigel und Dr. Gribble - mit dem selben Schauspieler Walter Teil zu besetzen, legt die Vermutung nahe, dass es sich auch im Stück um ein und dieselbe Person handelte. Diese und weitere offene Fragen, die das Publikum noch eine Weile beschäftigen werden, machten den Reiz dieses Kriminalstück aus.

Artikel vom 06.05.2006