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Starke Stücke,
gute Solisten

NWD spielt Werke von Brahms

Von Udo Stephan Köhne
Herford (HK). Wenn die liebgewonnene Reihenfolge philharmonischer Programmplanung, die im einfallslosesten Fall bekanntlich aus großer Sinfonie nach vorheriger Ouvertüre und Solokonzert besteht, einmal ausgehebelt wird, müssen schon gewichtige Gründe vorliegen. Im Fall des jüngsten Abonnementkonzerts der Nordwestdeutschen Philharmonie lagen sie zweifellos vor.

Ist doch das »Doppelkonzert« von Johannes Brahms die musikalisch ungleich schwergewichtigere Komposition als die zwar anregende und eingängige, aber eben doch in vielen Teilen dem Nachahmungstrieb eines jungen Komponisten entsprungene erste Sinfonie Alexander Zemlinskys.
Das Beste, in diesem Fall das Solokonzert, also als Finale zu präsentieren: Das ist eine weise, jedoch nicht selbstverständliche Entscheidung. Wenn aber Solisten eines Formats wie Isabelle Faust und Jens-Peter Maintz auflaufen, die im Ostwestfälischen sonst eher selten Station machen, räumt man diesen einen Ehrenplatz gern ein. Doch auch der erste, rein orchestrale Teil des Konzerts fiel nicht wirklich ab, sondern hatte gleichfalls Vorzüge.
So musizierte die »Nordwestdeutsche« unter Daniel Raiskin zunächst eine äußerst geradlinig gestaltete »Egmont«-Ouvertüre. Ein energischer, zugleich wacher und ohne Verunklarungen gespielter Beethoven war zu hören. Die Horngruppe tat sich hervor, auch der als »Siegessinfonie« titulierte Schluss gefiel auf Grund der zugkräftigen Darstellung. Im Ganzen ein Auftakt, wie man ihn sich wünscht: ohne Warmlaufen und Hineintasten in das Programm.
In höchst erfreulicher Weise ausgewogen auch die Orchesterleistung in der ersten Sinfonie von Alexander Zemlinsky. Alle instrumentalen Gruppen beteiligten sich an der vorzüglichen Darbietung eines Werkes, das den Meisterkomponisten immerhin erahnen lässt. Kongenial das Dirigat von Daniel Raiskin. Schnörkellos und mit Tatendrang ausgestattet war sein Vorgehen, dazu ohne jenes Übermaß an Pathos, zu dem die melodische Erfindung des langsamen Satzes verführen könnte. Eindrucksvoll auch der erste Satz. Zemlinsky als spannende Angelegenheit; was will man mehr?
Vielleicht das, was sich nach der Pause ereignete. Da zeigten Isabelle Faust (Violine) und Jens Peter Maintz (Violoncello), wie unter Verzicht auf jedwede äußere Virtuosität ein Werk wie das Konzert für Violine, Violoncello und Orchester a-moll op.102 von Johannes Brahms auf den Punkt gebracht werden kann. Kammermusikalisch der Ansatz des Solistenduos, dazu wurde mit federndem Ton wiedergegeben, was Brahms den beiden Soloinstrumenten in die Noten geschrieben hat. Kein druckvoll-gequältes Cellospiel, kein auf Aussage getrimmtes Geigensolo: dagegen Präzision, die niemals auf Lebendigkeit des Ausdrucks verzichten musste. Die Solisten vermittelten den Eindruck, dass genau so und nicht anders die ideale Brahms-Interpretation aussehen müsse.
Angesichts dieser Klasse hatte die NWD einen schweren Stand. Trotz homogener klanglicher Leistungen: Das Orchester erreichte nicht die von Geige und Violoncello vorgelegte interpretatorische Durchdringung des Werkes.
Daniel Raiskin dirigierte einen zügigen Brahms, Isabelle Faust und Jens Peter Maintz jedoch ließen keinen Anflug von Hektik aufkommen. Überlegene Gestaltung und feinsinnige Artikulation: Das Publikum im Schützenhof hätte gern mehr von diesem Duo gehört. Was aber hätte man sinnvollerweise noch zugeben können?

Artikel vom 08.05.2006