06.05.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Von der Universität aufs Spargelfeld

Polnischer Akademiker findet zu Hause keine Stelle - Saisonarbeit sichert Einkommen

Von Christian Althoff
Rahden (WB). Darius Kuleta wollte es zu etwas bringen. Er machte Abitur, studierte Marketing - und fand dann in seiner Heimat Polen keine Stelle. Jetzt arbeitet der 34-jährige Akademiker als Saisonkraft auf den riesigen Spargelfeldern von Bauer Friedrich Winkelmann im Kreis Minden-Lübbecke.
Friedrich Winkelmann baut Spargel und Beeren an.

Der Hof in Rahden-Tonnenheide gehört zu den Großen im Lande. Auf 400 Hektar sandigen Bodens wächst das edle Gemüse. Die im Sonnenlicht glänzenden, schwarzen Plastikfolien, die die Hügelbeete abdecken und wärmen, reichen bis zum Horizont. »Aneinandergereiht erstrecken sich unsere Spargelbeete über 2000 Kilometer - eine Strecke, die etwa von Rahden nach Athen reicht«, erklärt der Landwirt. Bis zu 80 Tonnen Spargel werden hier jeden Tag gestochen, und dabei ist Friedrich Winkelmann auf Kräfte wie Darius Kuleta angewiesen. Von den 650 Mitarbeitern, die Winkelmann in der zehn Wochen dauernden Saison beschäftigt, ackern 550 auf den Feldern - ausschließlich Männer aus Polen und Rumänien.
Darius Kuleta arbeitet die neunte Saison in Rahden. Er stammt aus der südpolnischen Stadt Kielce, wo die Arbeitslosigkeit bei 20 Prozent liegt. 1997 war er 1500 Kilometer nach Ostwestfalen gefahren, um Arbeit zu finden, im Jahr darauf hat er erstmals für Friedrich Winkelmann Spargel gestochen. Bei einem Stundenlohn von 5,17 Euro plus Prämien für die richtige Auswahl der zu stechenden Stangen kommt der 34-Jährige bei 250 Stunden Arbeit auf 1500 Euro im Monat. »Mit dem Geld, das ich hier in acht Wochen verdiene, können meine Frau und ich in Polen fünf Monate leben«, erklärt Darius Kuletas, den sie Darek rufen.
Der Pole hat Glück. Weil seine Frau Alicia (34) zu Hause in der Krankenhausverwaltung arbeitet und er keine Stelle hat, gilt Darek als Hausmann. Deshalb muss er auf seine 5,17 Euro keine Sozialabgaben zahlen. Landsleute von ihm, die bislang ihren Urlaub genutzt hatten, um auf deutschen Feldern Geld zu verdienen, müssen seit dem vergangenen Jahr 20 Prozent in die Sozialkassen abzweigen. »Mit dieser Regelung hat Deutschland viele Saisonarbeiter abgeschreckt, die jetzt nach Spanien oder England gehen«, sagt Bauer Winkelmann. Auch er hat diesmal nicht genug Arbeiter bekommen und deshalb für 234 000 Euro 150 Maschinen angeschafft, die nun neben Spargelstechern herfahren, die Folie von den Beeten anheben und das geerntete Gemüse transportieren. »So können die Arbeiter mehr Spargel pro Stunde aus dem Boden holen.«
Überlastete Handgelenke, schmerzende Wirbelsäulen: »Spargelstechen ist ein Knochenjob. Die Arbeiter müssen fit und belastbar sein«, sagt Darius Kuleta, der wegen seiner guten Deutschkenntnisse und seines Organisationstalentes seit einigen Jahren als Vorarbeiter 50 Erntehelfer unter sich hat. »Wer sich bei Sonne und Regen bis zu zehn Stunden lang immer wieder bücken muss und auch an den Wochenenden durcharbeitet, muss gesund sein«, sagt er. Beim Anwerben neuer Kräfte in Polen oder Rumänien führt der 34-Jährige deshalb auch einen eigens gedrehten Film vor, damit sich Interessenten keine falschen Vorstellungen von der Arbeit machen.
»Natürlich haben wir es auch mit deutschen Arbeitslosen probiert«, erzählt Friedrich Winkelmann. Aber die hätten angesichts der Leistungen, die sie auch ohne Arbeit bekämen, keine Motivation, sich auf den Feldern zu schinden. »Man muss das nüchtern sehen: Nach acht Wochen Knochenarbeit steht ein Arbeitsloser genau dort, wo er auch vorher gestanden hat«, sagt der Landwirt, der aber noch aus einem viel entscheidenderen Grund auf die ausländischen Helfer schwört: »Je nach Wetter gibt es Tage, an denen hier zwei Stunden gearbeitet wird, und solche, an denen wir zehn Stunden auf die Felder müssen. Vor heißen Tagen sind wir sogar schon nachts rausgefahren, um die wärmende, schwarze Folie auf die hitzeabweisende, weiße Seite zu drehen«, erzählt Friedrich Winkelmann. »Und diese Flexibilität ist nur möglich, weil die Saisonarbeiter auf unserem Hof wohnen.«
Dareks Raum, den er sich mit einem Kollegen teilt, liegt im ersten Stock der zweigeschossigen Unterkunft und erinnert an ein typisches Jugendherbergszimmer. Ein Etagenbett, zwei Schränke, Tisch und Stühle, das Gemeinschaftsbad und eine Etagenküche auf dem Flur: »Mehr brauchen wir nicht«, sagt Darius Kuleta. Die Unterkunft wird den Arbeitern ebenso gestellt wie das Mittagessen, das auf dem Hof von einem polnischen Koch und seiner Mannschaft zubereitet wird. Für Frühstück und Abendbrot müssen die Saisonarbeiter selbst sorgen, ein kleiner Laden auf dem Hof bietet das Notwendige an. Nur hochprozentiger Alkohol wir hier nicht verkauft. »Nach vielen schlechten Erfahrungen gilt bei uns seit Jahren eine eiserne Regel: Wer sich betrinkt, packt noch am selben Tag seine Sachen«, sagt Friedrich Winkelmann.
Die Trennung von seiner Frau Alicia, die er erst im vergangenen Jahr geheiratet habe, sei natürlich eine Belastung, erzählt Darek Kulena. »Aber was ist die Alternative?« Viel schwieriger sei es doch für seine Kollegen, die ihre Kinder acht Wochen nicht sähen. Glück hätten deshalb die Arbeiter, deren Kinder in diesen Wochen zur Erstkommunion gingen: »Für sie wird ein Reisebus gechartert, der sie für das betreffende Wochenende zu ihren Familien fährt.«
Bis Ende Juni werden die Saisonarbeiter auf dem Hof Winkelmann bis zu 1800 Tonnen des Gemüses gestochen haben. Dann kehrt auch Darius Kulena nach Kielce zurück - bis zu seinem nächsten Saisonjob: »Im August werde ich voraussichtlich acht Wochen in Irland arbeiten - als Obstpacker.«

Artikel vom 06.05.2006