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Kinderkrankheiten
ernst nehmen

Impfschutz noch nicht ausreichend

Von Sabine Schulze
Bielefeld (WB). Die Masern-Epidemie, die Duisburg heimgesucht hat, hätte ebensogut in Bielefeld ausbrechen können: Die Durchimpfungsquoten sind nicht höher. Nach wie vor, so Sozialdezernent Tim Kähler, zugleich Vorsitzender der Kommunalen Gesundheitskonferenz, ist der Impfschutz der Bevölkerung nicht ausreichend. Eine Impfkampagne sollte Abhilfe schaffen.

Gezielt hat das Gesundheitsamt im vergangenen Frühsommer an vier Bielefelder Schulen - Gesamtschule Stieghorst, Theodor-Heuss-Realschule, Adolf-Reichwein-Schule und Vennhofschule - über Sinn und Zweck von Impfungen aufgeklärt und ist mit dem Impfmobil vor Ort auch direkt zur Tat geschritten. Parallel dazu gab es eine gemeinsame Kampagne mit der AIDS-Hilfe, DrogenHilfeZentrum und Streetmed (ein Projekt der aufsuchenden Gesundheitsfürsorge für Obdachlose der von Bodelschwinghschen Anstalten), die sich an eine spezielle Zielgruppe richtete: an homosexuelle Männer, Drogenabhängige und drogenabhängige Prostituierte.
Der Jugendgesundheitsbericht 2002 belegte es: Kinder und Jugendliche sind nicht hinreichend gegen Masern, Mumps und Röteln, Keuchhusten und Hepatitis B (eine schwere Leberentzündung) geschützt. So waren 76,9 Prozent der jungen Menschen 2005 gegen Masern geimpft. Um die Krankheit aber auszurotten - erklärtes Ziel der Weltgesundheitsorganisation - ist eine Impfquote von 92 bis 95 Prozent nötig.
Denn unterschätzen sollte man auch die so genannten Kinderkrankheiten nicht: »Die Komplikationsrate bei Masern liegt bei 20 bis 30 Prozent: Es kann zur Hirnhautentzündung kommen, zu Entzündungen der Lunge, der Bauchspeicheldrüse und des Blinddarms«, zählt Dr. Ruth Delius, Leiterin des Gesundheitsamtes, auf. Und sie rät dringend: »Impfungen, die die Ständige Impfkommission empfiehlt, sollte man wahrnehmen!«
Davon haben sich an den vier an der Kampagne beteiligten Schulen 141 Kinder beziehungsweise ihre Eltern überzeugen lassen. 649 Impfempfehlungen waren nach einem Blick in die Impfpässe allerdings ausgesprochen worden.
Homosexuelle und Drogenabhängige wurden im Zuge der Kampagne über die Leberentzündungen der Typen A, B und C informiert. Die beiden Letzteren werden durch Sexualkontakte und Körperflüssigkeiten übertragen, beide können chronisch werden und dann zur Leberzirrhose oder zum Tumor führen. Vor Hepatitis B schützt eine Impfung. Insgesamt 98 Menschen dieser Zielgruppe nahmen dieses Angebot an. »Über Streetwork haben wir unsere Klientel über Wochen an ihren Treffpunkten aufgesucht und Flyer verteilt«, berichtet Harald Schieblon, DrogenHilfeZentrum, vom Vorgehen. Das Gute an der Kamapgne, ergänzt Peter Struck von der AIDS-Hilfe, sei aber vor allem gewesen, dass es eben nicht bei der Aufklärung blieb: Es wurde direkt geimpft - in einer Szenekneipe und in den Räumen der AIDS-Hilfe. Was offenbar viele Ärzte nicht wüssten, kritisierte Barbara Kroll, Streetmed-Ärztin, sei, dass für die Risikogruppe die Krankenkassen die Kosten übernehmen.
Insgesamt bewerten die Beteiligten die Kampagne als Erfolg. »Sie kann aber nicht aus der Eigenverantwortung entlassen, sondern lediglich das Bewusstsein schärfen«, so Kähler.

Artikel vom 05.05.2006