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Nachbarstreit um Glockenspiel

Seniorenheim soll Anlage abschalten - Kläger nicht kompromissbereit

Von Christian Althoff
Lage (WB). Ein 35 000 Euro teures Glockenspiel im Garten eines lippischen Seniorenheimes darf voraussichtlich nie wieder erklingen. Richter des Verwaltungsgerichtes Minden gaben gestern zu erkennen, dass sie einer Nachbarin möglicherweise Recht geben werden, die sich massiv gestört fühlt und geklagt hatte. Das Urteil wird in zwei Wochen verkündet.
Unternehmer Rudolf Tellbüscher aus Lage hatte das Glockenspiel gestiftet.

Das private Seniorenheim Stricker liegt in einer Wohnstraße am Stadtrand von Lage. Im vergangenen Jahr hatte der stadtbekannte Möbelunternehmer Rudolf Tellbüscher (95) dem Altenheim das elektrisch betriebene Glockenspiel gestiftet - zwölf unterschiedlich große Glocken, die in etwa vier Metern Höhe an einem Metallgestell befestigt sind und an hängende Blüten erinnern. Das Spiel steht im Garten des Altenheimes und erklang anfangs um 9, 12 und 16 Uhr für jeweils 90 Sekunden. Es unterhielt die alten Menschen abwechselnd mit vier Melodien: »Alle Vögel sind schon da«, »Muß i denn zum Städele hinaus«, »Geh aus mein Herz« und »Üb' immer Treu und Redlichkeit«.
Nachbarin Monika K. (63) fühlte sich von Anfang an belästigt: »Es war schlimm. Das Ding war so laut, dass ich mich überhaupt nicht mehr in meinem Garten aufhalten konnte. Und meine 95 Jahre alte Mutter, die ein Hörgerät trägt, litt noch mehr.« Die Familie erhob deshalb Klage gegen die Stadtverwaltung und warf dem Ordnungsamt vor, die Betriebserlaubnis für ein Glockenspiel in einem Wohngebiet zu Unrecht erteilt zu haben. Zudem erwirkten die Kläger eine Einstweilige Verfügung, mit der das Verwaltungsgericht im Februar den weiteren Betrieb des Glockenspiels untersagte. »Da hatte ich endlich wieder meine Ruhe - wie 18 weitere Nachbarn, die auf meiner Protestliste unterschrieben hatten«, sagt Rentnerin Monika K.
»Das Verbot hat unsere Bewohner sehr enttäuscht«, erzählt Altenheimbetreiberin Gisela Stricker. »Die bettlägerigen Senioren hatten sich mittags extra die Fenster öffnen lassen, um die Melodie noch besser hören zu können«, sagt sie. »Und die Kleinen im benachbarten Kindergarten wussten: Wenn Mittags das Glockenspiel erklingt, dürfen wir nach Hause.« Seniorin Lore Streicher (76) bestätigt, dass sie und andere Heimbewohner die Musik vermissen: »Bei schönem Wetter haben wir uns unters Glockenspiel gesetzt und der Melodie gelauscht.«
Gestern nun verhandelte die 9. Kammer des Verwaltungsgerichts Minden den Glockenstreit. Richter Ulrich Osthoff spielte ein Tonband ab, das er bei einem Ortstermin im Wohnzimmer von Monika K. aufgenommen hatte und auf dem »Muß i denn, muß i denn« klar zu hören war - kein Wunder, denn das Wohnzimmer liegt nur 16 Meter vom Glockenspiel entfernt, und das erzeugt nach Messungen des Staatlichen Amtes für Umwelt- und Arbeitsschutz einen Schallpegel von 78,1 Dezibel A. Zum Vergleich: Bei einer Dauerbeschallung von 80 dbA drohen bereits ernste Hörschäden. . .
Vor Gericht zeigten sich die Altenheimbetreiber kompromissbereit. Sie boten an, die Lautstärke um 25 Prozent zu vermindern und das Glockenspiel nur noch zu den Geburtstagen der Heimbewohner erklingen zu lassen - also 52 Mal im Jahr. Das lehnten die Kläger aber ebenso ab wie den Vorschlag des Richters, die Musik zumindest einmal im Monat erklingen zu lassen.
Einmal durften die Glocken übrigens in den vergangenen Monaten mit einer Sondererlaubnis des Verwaltungsgerichtes für zwei Minuten schlagen: Am 7. April, als der Stifter Rudolf Tellbüscher 95-jährig zu Grabe getragen wurde. »Gut, dass er diesen Streit nicht mehr miterlebt«, sagt Gisela Stricker kopfschüttelnd.

Artikel vom 05.05.2006