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Der Steinmetz hat einfach geritzt

Bisher verborgene Bauzeichnungen im Aachener Dom entschlüsselt

Von Elke Silberer
Aachen (dpa). Experten haben in Wände geritzte Bauzeichnungen des Aachener Doms entschlüsselt und damit neue Einblicke in die Bauarbeiten des Weltkulturerbes gewonnen. 600 Jahre waren die so genannten Ritzzeichnungen hinter dem mächtigen Gestühl der gotischen Chorhalle verborgen.

Durch diesen Schutz blieben sie erhalten. Bei Sanierungsarbeiten wurden die unauffälligen Linien sichtbar. Experten entschlüsselten acht, zum Teil meterhohe Planentwürfe, teilte das Rheinische Amt für Denkmalpflege gestern mit.
»Das ist der einzige bekannte Fall, wo man so viele Entwürfe an einer Stelle gefunden hat«, sagte die Bauhistorikerin Ulrike Heckner. Die Zeichnungen machten deutlich, wie sich die Baumeister ohne High-Tech-Mittel an das filigrane Bauwerk mit 1000 Quadratmetern Fensterflächen herantasteten. Ergebnisse von Dokumentation und Auswertung zeigt die Ausstellung »Ritzzeichnungen. Die verborgenen Baupläne in der gotischen Chorhalle des Aachener Doms« seit gestern im Dom.
Bei den gestalterisch schwierigen Elementen wie Fensterbögen ritzten die Planer ihre Entwürfe in Originalgröße in den bereits gebauten Sockel der Chorhalle. »Papier hatte man in dieser Größe nicht zur Verfügung«, sagte Heckner. Pergament war sehr teuer und wurde nur für Zeichnungen im kleineren Maßstab gebraucht. An den Entwürfen in Originalgröße nahmen die Steinmetze beim Bauen Maß.
Bei den Schmuckteilen spielte offensichtlich auch Geschmack eine Rolle. Für die Gliederung der oberen Fensterteile ritzte der Steinmetz mit Zirkel und Metallgriffel zwei Varianten ins Mauerwerk. »Man muss sich das wahrscheinlich so vorstellen, dass jemand vom Domkapitel kam und dann entschied«, sagte Heckner. Offensichtlich waren die Herren nicht recht zufrieden. Denn der Steinmetz ritzte eine dritte Variante in Form eines Kleeblatts in die Wand, sie erhielt den Zuschlag.
Die Chorhalle ist der jüngere Teil des 1200 Jahre alten Aachener Doms und wurde unter anderem für die Scharen von Pilgern gebaut. Nach der Grundsteinlegung 1353 betrug die Bauzeit etwa 60 Jahre. In dieser Zeit wurden Entwürfe immer wieder überzeichnet.

Artikel vom 05.05.2006