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Ali Baba und die Calypso-Kicker

WM-Paten (Folge 24): In Oeynhausen hält Winston Oliver zu Trinidad

Von Thomas Hochstätter
und Moritz Winde (Foto)
Bad Oeynhausen (WB). Als die Fußballgeschichte des jungen Inselstaates Trinidad und Tobago auf Touren kam, da saß der Bad Oeynhausener Winston Oliver zusammen mit seinem Schwiegersohn in der Kurstadt vor dem Fernseher und schaute Eurosport.

Und weil die Geschichte der »Soca-Warriors« ja irgendwie ein Märchen ist, hätte der Mann, der Trinidad und Tobago die erste WM-Teilnahme stehlen wollte, auch keinen passenderen Namen haben können. Hussain Ali Baba war es, der dem ansonsten hervorragenden Torwart Kelvin Jack kurz vor Schluss beim Abschlag den Ball klaute. 1:1, die Führung war dahin. Doch der Schiedsrichter pfiff Freistoß. Das Tor zählte nicht. Und in Bad Oeynhausen kriegten sich zwei Fernsehzuschauer vor Freude nicht mehr ein.
»Das war natürlich kein Foul«, sagt Winston Oliver heute. Aber das ändert nichts mehr. Die Calypso-Kicker gewannen das Rückspiel in der entscheidenden Qualifikationsrunde gegen Bahrain mit 1:0. Die Enttäuschung nach dem 1:1 in Hinspiel in Port of Spain: vergessen. Der Jubel: riesig. So stellt sich das der Bad Oeynhausener auch für die WM vor. Besonders beim Spiel gegen die alte Kolonialmacht England. »Und das würden wir dann auch gebührend feiern.« Was bei dem Vater von drei Töchtern bedeutet: mit viel Musik und einem Festessen. Seine Nachbarn im Stadtteil Rehme können sich womöglich eher für Stippgrütze oder Pickert begeistern. Wenn aber Fußballfan Winston Oliver etwas richtig Leckeres kocht, dann gibt es Ziegen-Curry - wie damals in Claxton Bay. Wo er das Fleisch für diese Spezialität herbekommt, das will der 56-Jährige aus dem kleinen Ort an der Westküste Trinidads nicht verraten. Wer in Bad Oeynhausen wohnt, hat es auch so schwer genug, alles zusammenzutragen, was er für die karibische Küche braucht. »Jeder Verwandte oder Bekannte, der nach Hause fliegt, muss mir ein paar Gewürze mitbringen«, sagt Oliver.
Die Lebensmitteleinfuhr von den kleinen Antillen geht schon eine ganze Weile. Denn Winston Oliver kam mit den »Royal Bataillon Glosters« in einer Zeit nach Deutschland, als hier gerade Kiesingers große Koalition in die Endphase ging. Trinidad und Tobago waren ein paar Jahre zuvor unabhängig geworden. Der junge Mann von der Kakao-und-Tabak-Insel wurde in Berlin stationiert. Später diente er in Irland und landete in Minden. Dort hat er seine deutsche Frau Christina kennen gelernt. Nach dem Ausscheiden aus der Army wurde er Lastwagenlenker, heute ist er Baggerfahrer.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass Hobbykoch Oliver während der WM einiges verbrutzeln wird. Schließlich geht er fest davon aus, dass seine kickenden Landsleute am Märchen der »Soca-Warriors« weiterschreiben. In der Hammergruppe mit England, Paraguay und Schweden weiterzukommen, das ist der Traum.
Er lebe gern in Ostwestfalen, sagt der Großvater von zwei Enkeln. »Auch wenn die Leute hier«, fügt er lachend hinzu, »für jemanden aus der Karibik manchmal etwas steif sind.« Damit der zweijährige Jamal und die einjährige Alicia später locker durchs Leben kommen, gibt ihnen Opa deshalb das nötige Rhythmusgefühl mit. Kinderbongotrommeln, Großvater mit der Gitarre oder Reggae vom Band: Oliver wird schon dafür sorgen, dass die Nachkommen sich heimisch fühlen, wenn sie Trinidad oder Tobago besuchen. »Denn da feiern die Leute noch mit 75 tagelang Karneval.«
WM-Karten hat er bisher nicht. Und ein Abstecher zur Unterkunft seines Teams in Rotenburg an der Wümme ist zumindest noch nicht fest eingeplant. Aber einen Plan für die Partie gegen England, den hat Winston Oliver längst: »Ein Tor schießen und dann alle nach hinten!« Wenn diese Taktik aufgeht, dürfte dem Einzug ins Achtelfinale kaum noch etwas im Wege stehen. Der Gegner könnte dann Deutschland heißen. Und in Sachen Rhythmusgefühl wären die Calypso-Kicker dabei haushoher Favorit. Aber locker!

Artikel vom 10.05.2006