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Ines Geipel

»Man hat die Chance vertan, sich von der Doping-Hypothek der DDR zu befreien.«

Leitartikel
Dopingrekorde bleiben

Ein Stern
löst kein
Problem


Von Oliver Kreth
Wenigstens Ines Geipel hat jetzt ihren Dopingfrieden: Ihr Name wurde aus den Rekordlisten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) gelöscht. Jene 42,20 Sekunden, die sie zusammen mit Bärbel Wöckel, Ingrid Auerswald und Marlies Göhr lief, gelten aber weiter als nationale Bestmarke, obwohl Gerichte bestätigt haben, dass dieser Vereinsweltrekord nur dem Zwangsdopingsystem der DDR zu verdanken ist.
Der DLV sah sich aus juristischen Gründen nicht in der Lage, diese Marke insgesamt zu tilgen und verlegt sich jetzt auf eine wachsweiche Präambel, die dubiose Rekorde mit einem Stern versieht, der darauf hinweist: Hier könnte etwas nicht mit rechten Dinge geschehen sein. Mehr traut sich das DLV-Präsidium um Amtsrichter Clemens Prokop nicht.
Dabei wäre es endlich Zeit, sich von diesen verdreckten Marken zu befreien. Knapp 40 aktuelle DLV-Rekorde verdanken wir dem DDR-Doping. Es liegen unendlich viele Akten und vor allem solche aus Strafprozessen auf dem Tisch, die vom Bundesgerichtshof anerkannt worden sind. Deshalb brauchen wir in Deutschland eine Regelung für vergiftete Rekorde. Nicht nur in der Leichtathletik.
Der DLV hatte, da er keine Möglichkeit auf Streichung sah, auf die Kooperation der Ex-Athleten gesetzt. Doch nur 4 der 47 Rekord-Inhaber wollten über die Bestmarken aus Hochdopingzeiten reden. Dabei sind Selbstbezichtigungen gar nicht nötig. Die Fakten liegen auf dem Tisch. Niemandem ist es so leicht gemacht worden, sich von den Abhängigkeiten eines Systems zu distanzieren, wie den DDR-Sportstars, findet nicht nur die Chefanklägerin, Schriftstellerin und Professorin Ines Geipel.
Der Sport muss sich endlich entscheiden, was er will. Wir brauchen ein Klima für Aufklärung, für Hinschauen und historische Wahrheiten. Flächendeckendes Verleugnen der Vergangenheit blockiert auch eine saubere Gegenwart und Zukunft. So entfallen derzeit von 10 Milliarden Euro Umsatz mit dem Medikament Erythropoetin (Epo) nur 1,6 Milliarden auf Kranke, der Rest wird im Sport verdient. Zahlen, die sich auch nicht wirklich aussitzen lassen.
Doch mit dieser Technik versucht sich der DLV, der sich nach der Wende im Trainerstab der DDR üppig bediente. Und dass Bärbel Wöckel, eine Teilnehmerin am Rekordlauf des SC Motor Jena, beim DLV beschäftigt ist, macht die Verlogenheit der Diskussion offensichtlich.
Am 20. Mai wird sich in Frankfurt/Main der Deutsche Olympische Sportbund gründen. Die Wahrscheinlichkeit, dass man sich dort dieses Themas endlich ernsthaft annimmt, muss leider auch bezweifelt werden.
Also werden die 400-m-Läuferinnen wohl weiter nach dem 47,60-Sekunden-Stern der Marita Koch greifen müssen. Doch wie schwierig eine Lösung ist, wird an diesem Fall besonders klar: Hätte man diese Bestmarke gestrichen, würde die neue Rekordinhaberin Grit Breuer heißen. Und sauber war auch die nicht immer.

Artikel vom 08.05.2006