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»Die härteste Prüfung
meiner Profikarriere«

T-Mobile-Radsportler Jörg Ludewig vor dem Giro d'Italia

Bielefeld (WB). Nach drei Frankreich-Rundfahrten fährt T-Mobile-Profi Jörg Ludewig nun erstmals den Giro d'Italia. Nach fünf Jahren in italienischen Teams, bei denen die nationale Rundfahrt immer den einheimischen Fahrern vorbehalten war, kehrt er nun in das Land zurück, in dem er zum Weltklassefahrer reifte. Mit welchen Erwartungen und Hoffnungen, verriet er WB-Redakteur Hans Peter Tipp.

Hand aufs Herz, Herr Ludewig: Wären Sie nicht lieber wieder die Tour de France gefahren.Ludewig: Na klar, das kann ich ruhig zugeben. Aber ich freue mich trotzdem. Der Giro ist eine neue Herausforderung, und es ist eine tolle Sache, in einem Team mit Jan Ullrich solch eine Rundfahrt zu bestreiten. Natürlich bin ich nicht so aufgeregt wie vor meinem ersten Frankreichstart, weil der Mythos der Tour auch in Deutschland den Giro überstrahlt.

Das Streckenprofil spricht aber eine andere Sprache. Drei Einzel-, ein Teamzeitfahren und fünf Bergankünfte - Ihre bislang härteste Prüfung als Radprofi?Ludewig: Das kann man so sagen. Der Giro ist 2006 vielleicht schwerer als die Tour, gerade in der letzten Woche, wo wir hoch zum Kronplatz auf Waldwegen zeitweise 24 Prozent Steigung überwinden müssen. Ich habe gehört, dass wir drei Etappen mit einem Dreifach-Kettenblatt vorne fahren müssen - unglaublich.

Nach einem Jahr voller Freiheiten zählt jetzt nur noch das Team. Was ist Ihre Aufgabe?Ludewig: Für mich geht es - wie für uns alle -Êdarum, Jan Ullrich dahin zu bringen, dass er in vier Wochen uns alle abhängt. Wenn ich als Mädchen für alles ein ganz klein wenig dazu beitragen kann, dass er in Frankreich das Ding abschießt, wäre das klasse und würde auch mir helfen. Mit 30 und einem Einjahresvertrag kämpfe ich darum, im Anschluss einen Zweijahresvertrag zu erhalten. Drei Wochen an Jans Seite sind da sicher keine schlechte Empfehlung

Apropos Jan Ullrich - wie ist denn der Draht zum Kapitän?Ludewig: Wir verstehen uns echt gut. Es ist nicht so, dass wir nur nebeneinander her fahren. Da wechseln auch schon mal ein paar persönliche Worte die Seite. Wir lachen gegenseitig über unsere Witze. Mal sehen, wie sich die nächsten drei Wochen darstellen, aber ich komme echt gut klar mit ihm. Ein kleines Beispiel: Als ich nach »Rund um Köln« eine nervige Sehnenscheidenentzündung hatte, hat Jan mir seine spezielle Physiotherapeutin »überlassen«. Die hat die Sache in den Griff bekommen.

Was ist für Jan Ullrich und T-Mobile beim Giro möglich?Ludewig: Für Jan ist es Training auf hohem Level. In der Gesamtwertung haben wir keine Chance, nicht einmal fürs Podium. Für unser Team zählt die Tour über alles und noch mehr. Unser dreifacher Zeitfahrweltmeister Michael Rodgers könnte aber jemand sein, der wie aus dem Nichts auftaucht. Ihm traue ich ihm einiges zu.

Was trauen Sie sich zu?Ludewig: Mir traue ich auch einiges zu. Ich bin top vorbereitet, habe mit 73,5 kg das gleiche Gewicht wie bei meinen Tourstarts und werde auf jeden Fall einen sehr guten Job machen.

Sind Extratouren wie in Frankreich beim Giro drin?Ludewig: Selbst mit einem Auge auf die Gesamtwertung zu schielen, wird mir verwehrt bleiben. Ich werde zu 99 Prozent im dreistelligen Bereich landen. Wer meint, ich könnte in Italien unter die ersten 20 fahren, nur weil ich bei der Tour zwei Mal 38. war, irrt gewaltig. Das will gar keiner. Ich bin nur ein kleines Rädchen im T-Mobile-Räderwerk. Ich habe meine Aufgabe zu erfüllen und hoffe, dass ich mich beim Giro soweit empfehlen kann, dass ich vor der Tour die Gewissheit habe, weiter in Magenta fahren zu können.

Wer steht nach drei Wochen in Mailand ganz oben?Ludewig: Wahrscheinlich ein Italiener, weil sie bei der Heimatrundfahrt doch ein bisschen mehr motiviert sind. Ivan Basso hat ein Top-Team und gezeigt, dass er die steilen Dinger richtig gut kann.

Das sagen alle. Was sagt das Bauchgefühl des Profis?Ludewig: Mein Geheimfavorit ist der letztjährige Dritte, Jose Rujano aus Venezuela. Wenn er am Anfang nicht zu viel Zeit im Wind, beim Mannschaftszeitfahren oder bei Stürzen verliert, wird er in der dritten Woche Gas geben, dass den Favoriten angst und bange wird. Simoni, Vorjahressieger Savoldelli oder dessen Vorgänger Cunego - die können alle die Berge rauffahren. Aber wenn es richtig steil wird, wird Rujano ihnen ganz schön auf der Nase herumfahren.

Und wo kommt Jörg Ludewig an?Ludewig: Ich hoffe in Mailand.

Artikel vom 06.05.2006