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Führungskräfte mit Kompetenz
Kinder gehen mit Erwachsenen auf »Entdeckungsreise« durch die Louise-Bourgeois-Ausstellung
»Man fühlt sich geborgen, aber irgendwie auch wie im Gefängnis«, sagt Arne Dohrmann. Der Zehnjährige steht unter der Doppelspinne (»Spider Couple«) aus Bronze von Louise Bourgeois. Die Bielefelder Kunsthalle zeigt Werke der 94-jährigen Künstlerin unter dem Titel »La famille« bis zum 5. Juni.

Arne Dohrmann gehört zu den »Führungskräften« - gemeinsam mit Regina Wiedemann (11), Anne Bittner (11), Nicolas Scholz (12), Kaspar Reinhardt (11), Valentin Kellein (8), Luis Renken (8), Jalma und Zoe Fiolka (8). Vom 14. Mai an übernimmt das »Kompetenzteam« jeden Sonntag eine öffentliche Führung für Erwachsene durch die Ausstellung - die Kinder jeweils in Dreier- oder Viergruppen.
Ausgerechnet Louise Bourgeois! Ausgerechnet eine Ausstellung, die die Familie auch von ihrer schlechtesten Seite zum Inhalt hat! Einwände wie diese kennen die Museumspädagogen Christiane Heuwinkel und Daniel Neugebauer. Aber sie wissen: »Erwachsene haben möglicherweise Hemmungen - Kinder sind begeistert von der Ausstellung.« Christiane Heuwinkel ist überzeugt, dass es die Mädchen und Jungen vermögen, den Erwachsenen die Berührungsängste zu nehmen: »Sie haben noch kein fest gefügtes Bild von Kunst.« Es gebe keine »kindgerechte Kunst«. Christiane Heuwinkel: »Alle Kunst eignet sich für Kinder.«
In den Führungen können sich die »Großen« von den »Kleinen« die Augen öffnen lassen und ihr Kunstverständnis erweitern, Aspekte entdecken, auf die sie, aus Erwachsenensicht, nie selbst gekommen wären.
Dabei sind die Mädchen und Jungen inzwischen »geschult«. Daniel Neugebauer: »Sie interessieren sich aber für völlig andere Sachen als Erwachsene.« Neugebauer ist mit den Kindern mehrmals auf Entdeckungstour durch die Ausstellung gegangen, die »Führungskräfte« haben sich ausgesucht, welche die Kunstwerke sie vorstellen möchten.
Als sie vor »No Exit« hören, dass die Holztreppe aus dem Haus stammt, in dem Louise Bourgeois aufgewachsen ist, machen sich die Zwillinge Jalma und Zoe ihre Gedanken: »Vielleicht hat sie als Kind dort gesessen und gelesen oder so.« Kaspar interessiert, wozu »die dicken Bälle hier liegen«. Neugebauers Erklärung: »Eine Art von Begrenzung - so wie die Käfige, mit denen Louise Bourgeois arbeitet.«
»Kann man in die Käfige auch 'reingehen?« fragt Nicolas und erfährt, dass die Künstlerin in New York ein »riesengroßes Atelier« habe. Neugebauer: »Da müssen die Käfige ja Platz haben.«
Mehr als das Werk »Seven in Bed« interessiert sie Arbeiten, in denen die Zahl Fünf dominiert: Fünf Mitglieder hatte die Familie, in der Louise Bourgeois aufwuchs, aus zwei Erwachsenen und drei Kindern bestand auch später ihre eigene Familie. »Leben denn noch die Geschwister von Louise?« wollen sie wissen und erfahren, dass Henriette und Pierre bereits gestorben sind. »Und ihr Mann?« »Und ihre drei Kinder?«
Christiane Heuwinkel versucht zu erklären, dass die »Kinder« inzwischen auch schon »über 70« sind: »Louise ist schon sehr alt, überlegt mal.«
Sie hören, dass Louise - die Mädchen und Jungen sprechen von der Künstlerin nur noch mit deren Vornamen - immer zeichnet, wenn sie nachts nicht schlafen kann und daraus entwickelt sich dann das nächste Gespräch. An der »Spiral-Frau« fasziniert sie, dass die Skulptur aus Gummi gefertigt wurde: »Und die Krallenfüße zeigen, dass sie ihre Kinder gegen alle Gefahren beschützen will.«
Regina findet trotzdem: »Ein bisschen ekelig sieht das doch aus.«
Fasziniert sind die »Führungskräfte« dann von einem Modell des Geburtshauses von Louise Bourgeois: »Sah das wirklich so aus?« »Wer wohnt da heute drin?« Wo das Haus steht, davon erzählen die Stoffbilder. Die Mädchen sind begeistert: »Guck mal, das sieht schön aus, so glänzig.«
Daniel Neugebauer übersetzt ihnen aus dem Französischen Louise Bourgeois' Beschreibung der Landschaft ihrer Kindheit, die »Ode an die Bievre«. Als er davon spricht, dass die Familie dort Spargel gezogen hat, sind sich die Acht- bis Zwölfjährigen nicht wirklich einig, ob Spargel nur »Hmmm, lecker« ist oder »schmeckt nicht, der ist glitschig«.
Ein bisschen »Bammel« hätten sie schon davor, Erwachsene durch die Ausstellung zu führen, räumen die Kinder ein. Und trösten sich gleichzeitig: »Wir sind ja nicht alleine.«
Am Internationalen Museumstag am 21. Mai haben alle bis zum Alter von 25 Jahren freien Eintritt in die Kunsthalle. Der Museumstag steht in diesem Jahr unter dem Motto »Museen und junge Besucher«. Die Kunsthalle ist von 11 bis 18 Uhr geöffnet.
Burgit Hörttrich

Artikel vom 13.05.2006