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»Wir sind froh, noch
am Leben zu sein«

René Bräunlich und Thomas Nitzschke sind unversehrt

Von Jutta Schütz
und Andreas Rabenstein
Berlin (dpa). Unsicher und erschöpft stolpern René Bräunlich und Thomas Nitzschke auf deutschen Boden. Bei strahlendem Sonnenschein kommen die beiden frei gelassenen Irak-Geiseln gestern nach 100 Tagen Entführung und Gefangenschaft langsam die Gangway auf dem Flughafen Berlin-Tegel herunter.
Mit Sekt stoßen der Geschäftsführer der Firma Cryotec Peter Bienert (3.v.l.) und die Mitarbeiter auf die Freilassung ihrer Arbeitskollegen an.
Nicht eine Luftwaffen-Maschine, sondern ein privates Charterflugzeug brachte die beiden nach Berlin. Damit signalisierte die neue Bundesregierung ein Stück Kontinuität mit der alten in der Haltung zum Irak-Krieg. Die Landung einer deutschen Militärmaschine in Bagdad verbot sich einfach - und wäre wohl auch zu gefährlich gewesen.
Zufall oder nicht: Genau neben einem großen gelben F, einer Markierung auf dem Rollfeld, die aber auch das Wort Freiheit symbolisieren könnte, bleiben René Bräunlich und Thomas Nitzschke nach ihrer Ankunft in Berlin stehen. Gefasst, aber doch sichtlich bewegt, blicken sie auf die wartende Schar von fast 100 Journalisten. Es ist 14.24 Uhr.
Der 32-jährige René Bräunlich tritt in seiner dunklen dicken Jacke an die Mikrofone. Er hat Augenringe und wirres Haar. »Ich bin froh, wieder daheim zu sein. Mir fehlen einfach die Worte. Wir hatten eine schwere Zeit.« Als er sich bei seinen Angehörigen bedankt, zittert seine Stimme. Die Familie sei ganz stark gewesen und »hat immer hinter mir gestanden«, sagt der blasse Mann. Er hat seine Lebensgefährtin Sindy mit dem kleinen Sohn Eric-Louis lange nicht gesehen.
Die Familien der Befreiten warten an einem »dritten, unbekannten Ort«, wie es heißt, auf das Wiedersehen mit ihren Lieben. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes soll es nicht gleich zurück in die sächsische Heimat gehen. An dem nicht genannten Treffpunkt sollten sich die Männer erstmal abgeschirmt von der Öffentlichkeit sammeln können, ihre Familien sprechen und anfangen, die schreckliche Zeit zu verarbeiten, sagt Sprecher Jens Uwe Plötner. Sie könnten sich aber frei entscheiden, wann sie zurückkehren. Schließlich warten in Leipzig viele Menschen, die mit Mahnwachen, Kerzen und Gebeten in Gedanken oft bei ihnen waren.
Die dunkle Kleidung der beiden Techniker erinnert an den Beginn ihrer Leidenszeit und passt so gar nicht zu diesem warmen Frühlingstag - die Techniker waren im Wintermonat Januar im Auftrag ihrer Firma Cryotec in den Irak gestartet. Dort waren sie am 24. Januar nördlich von Bagdad mit Gewalt entführt worden. Es gab nur spärliche Lebenszeichen von ihnen. Zuletzt hatten sie auf einem Video gefleht, ihnen zu helfen. Auch ihre Mütter hatten sich mit einem dramatischen Appell an die Entführer gewandt.
Thomas Nitzschke wendet sich gestern in seinen kurzen Worten zuerst an die Bundesregierung. »Besonderer Dank gilt dem Auswärtigen Amt und dem Krisenstab.« Er ist wie sein Kollege stark bewegt. Auch seine Stimme klingt erschüttert. Er konzentriert sich auf seine Sätze, um nicht die Fassung zu verlieren. »Wir sind sehr froh, noch am Leben zu sein, was für uns nicht selbstverständlich ist.«
Fragen beantworten die beiden Leipziger nicht. Nicht mal zehn Minuten nach ihrer Landung sind René Bräunlich und Thomas Nitzschke in einem dunkelblauen Kleinbus verschwunden. Er bringt sie zu dem lang ersehnten Treffen mit ihren Familien.

Artikel vom 04.05.2006