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Urteil gegen trinkenden Arzt gekippt

Nach tödlichem Unfall hebt OLG Verurteilung zu 19 Monaten Haft auf

Von Christian Althoff
Bielefeld (WB). Das Oberlandesgericht in Hamm hat die Verurteilung eines Bielefelder Chirurgen aufgehoben, der unter Alkohol einen tödlichen Verkehrsunfall verursacht hatte.

Zu dem schweren Unfall war es im April 2004 gekommen. Der seit 15 Jahren alkoholkranke Arzt hatte nachts eine Flasche Whisky geleert und wollte morgens mit seinem Alfa Romeo zum Dienst ins Ev. Krankenhaus Bielefeld fahren, wo er in der Notaufnahme arbeitete. Mit Tempo 95 raste der Mediziner damals durch die Stadt und missachtete einen Ampel, die bereits seit 20 Sekunden Rot zeigte. Der 50-jährige rammte den VW Golf eines älteren Ehepaares, das drei Monate später Goldene Hochzeit feiern wollte. Die Frau (71) wurde so schwer verletzt, dass sie im Krankenhaus starb. Ihr Mann (76) erlitt Brüche des Kiefers, des Steißbeins und zahlreicher Rippen, einen Zwerchfellabriss, Stichwunden und Prellungen. Vier Monate musste er im Krankenhaus behandelt werden, bevor er eine Reha antreten konnte.
Wegen fahrlässiger Tötung hatte das Landgericht Bielefeld den Arzt, dessen Approbation seit dem Unfall ruht, im vergangenen Jahr zu 19 Monaten Gefängnis verurteilt - ohne Bewährung. Zu Lasten des Angeklagten hatte das Gericht die gravierenden Folgen für die Opfer gewertet, strafverschärfend wurden zudem das hohe Tempo und der Rotlichtverstoß angesehen. Zu Ungunsten des Angeklagten hatten die Richter außerdem berücksichtigt, dass er »trotz seiner ärztlichen Verantwortung« betrunken zum Dienst habe erscheinen wollen.
Rechtsanwalt Dr. Detlev Binder ging gegen das Urteil in Revision und hatte jetzt Erfolg. Die Richter des OLG folgten der Argumentation des Verteidigers, dass sich das Landgericht nicht mit der Frage einer möglicherweise verminderten Schuldfähigkeit auseinandergesetzt habe. »Diese wäre aber bei einem errechneten Alkoholwert von 2,37 Promille zur Tatzeit notwendig gewesen«, befanden die Richter. Auch habe das Landgericht nicht strafmildernd berücksichtigt, dass dem Arzt nach dem Unfall ein Teil des Darms entfernt werden musste und er unter dauerhaften Folgen wie Durchfall und Blutarmut leidet.
Rechtsanwalt Dr. Binder: »Mit der Aufhebung des Urteils eröffnet sich meinem Mandanten die Chance, in einer erneuten Verhandlung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt zu werden.« Der Arzt habe eine mehrmonatige, stationäre Entziehungskur hinter sich und versuche, sich eine neue Existenz aufzubauen: »Schließlich wird er auf absehbare Zeit nicht mehr als Arzt arbeiten dürfen.«

Artikel vom 04.05.2006