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»Nie aus den Augen lassen...«

Schmuckstück auf vier Rädern: Werner Gorwa pflegt seinen »190 SL«

Von Rainer Grotjohann
Kreis Herford (HK). In einer Serie über »Alte Schätzchen« darf ein Beitrag über einen Mercedes natürlich nicht fehlen. Vor allem nicht, weil sich eine Design-Ikone wie Werner Gorwas 190 SL geradezu dafür anbietet. Dem 45 Jahre alten Cabrio ist dieser Teil unserer Serie gewidmet.

»Gewidmet« scheint die rechte Wortwahl bei dieser automobilen Schönheit, nach der sich auf der Straße jeder umdreht. Allerdings: Viele Gelegenheiten, den Traum auf vier Rädern zu bewundern, gibt es nicht. Das komplette Winterhalbjahr wird der SL in einer bestens gesicherten Garage eingesperrt, und auch vom Frühjahr bis zum Frühherbst wird der Motor nur gestartet, wenn die Sonne (verlässlich) scheint. Dann zieht Werner Gorwa vorsichtig die Baumwollplane von der Karosse, schlägt das Verdeck zurück, setzt seine Lederkappe auf und lässt den Vier-Zylinder an.
Nur vier? Ja, nur vier Zylinder. Die 190 in der Typenbezeichnung steht für nur knapp 1,9 Liter Hubraum - verteilt auf vier Zylinder - und 100 PS. Als Brachialsportler war der 190 SL also nicht konzipiert worden. Bei 180 Stundenkilometern war Schluss. Heute auch noch? Werner Gorwa (69 Jahre jung) zuckt die Achseln: »Mehr als 140 fahre ich damit nicht«.
Soll heißen: Der frühere Leiter der technischen Abteilung von Nolte Küchen fordert sein Schätzchen nicht, er hegt und pflegt es. Lässt es bei Oldtimer-Treffen und kurzen Stopps nie aus den Augen, mag es nicht, wenn Neugierige die Kurven seines Lieblings mit bratwurst-fettigen Fingern betatschen.
Übertriebenes Gehabe? Nein. Nicht nur wegen des Fahrzeug-Wertes. Der dürfte bei 60 000 Euro liegen, hat die renommierte Gutachter-Firma Classic Data, spezialisiert auf Oldtimer, dem Wagen doch eine sehr gute »Zwei« ins Zeugnis geschrieben.
Auch nicht allein wegen der etwa 20 000 Euro die Gorwa in Ersatzteile und anderes mehr gesteckt hat. Nicht wegen der nicht zu zählenden Stunden, die der Rentner (und gelernte Fahrzeugbauer) in seinen ganz persönlichen Traum gesteckt hat. Sondern noch aus einem dritten, besonders wichtigen Grund: »Geht irgendetwas kaputt, muss ich das selbst reparieren. Das kann doch keine Werkstatt mehr«.
Ein Faible für schöne, alte Autos hat Werner Gorwa schon immer gehabt, aber er hat es auch richtig gemacht: Seinen Traum erfüllte er sich vor sechs Jahren, an der Schwelle zum Rentnerdasein. Nun hatte er genug Zeit. Und griff zu, als er den 190 SL bei einem Bünder in der Garage stehen sah. Falsch. Liegen sah: Der Wagen war in seine Einzelteile zerlegt worden. Dem Besitzer fehlte aber das, was Gorwa jetzt hatte: Zeit, den SL zu restaurieren. In Kisten und Kartons traten die zigtausend Teile den Weg nach Holsen an.
Gorwa hatte sich vorsorglich noch einen Ersatzteilkatalog für den Oldie besorgt. »Ohne den wäre es schwer geworden«, blickt er zurück. Der Katalog enthielt nicht nur die Bestellnummern aller Teile, sondern auch schematische Darstellungen der einzelnen Komponenten wie Motor, Getriebe, Kupplung, Bremsanlage oder Elektrik. Eine nahezu perfekte Bauanleitung also.
Der Rentner machte sich an die Arbeit, und seine Ehefrau schmollte nicht, dass er so viele Stunden in Bastelkeller und Garage verbrachte. »Sie freute sich, dass ich meinen Spaß hatte«. Und seine bessere Hälfte drängte ihn auch nicht, endlich fertig zu werden: Als er die Frontscheibe eher provisorisch eingebaut hatte, kam ihr mahnender Kommentar: »Das ist doch das erste, was du wieder rausreißt«. Sie sollte Recht behalten. Jede Schraube muss der Bastler mindestens fünf Mal in der Hand gehabt haben. Werner Gorwa leistet ganze Arbeit. Der Kabelbaum wurde erneuert, Motor und Getriebe komplett überholt, die Ledersitze wurden aufgepolstert und neu bezogen, Stoßstangen, Tankverschluss und Zierleisten neu verchromt.
Nur um den Lack, das herrliche gebrochene Weiß des SL, musste er sich nicht kümmern. Die Neulackierung hatte der Vorbesitzer besorgt. Rost war ohnehin Fehlanzeige. Der Sportwagen aus dem Schwabenland war vom Band weg in die USA exportiert worden. In Kalifornien rollte er den Löwenanteil seiner 140 000 Kilometer Laufleistung. Die Edelkarosse kam nie mit Streusalz und nur selten mit Regen in Berührung. Und das bleibt auch so, solange Werner Gorwa Besitzer der weißen Schönheit ist.

Artikel vom 06.05.2006