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Millionenklage:
Post fordert
Schadenersatz

Ex-Agenturbetreiber sollen zahlen

Von Hubertus Hartmann
Paderborn (WB). Die Deutsche Post hat mehrere 100 ehemalige Agenturbetreiber wegen angeblicher Inventurdifferenzen auf Schadenersatz in Millionenhöhe verklagt.
Spricht von Nötigung: Anwalt Helmut Franke.

Nach Schätzungen des Postagenturnehmerverbandes Deutschland (Pagd) beläuft sich die Zahl der Rechtsstreitigkeiten und außergerichtlichen Verfahren auf 2000. Etliche Verfahren seien bereits abgeschlossen, sagte Pagd-Vorsitzender Torsten Modery dieser Zeitung. In Stuttgart wurde eine Agenturbetreiberin zur Zahlung von 260 000 Euro verurteilt, ein Detmolder Kaufmann soll 108 000 Euro zahlen. Derzeit liefen noch bis zu 300 Prozesse.
Bei jeder zweiten der 7500 privaten Postagenturen stimmte die Kasse nicht. Sie wiesen zum Teil erhebliche Inventurdifferenzen bei Bargeld und Produkten auf. Allein in Nordrhein-Westfalen waren nach einer Pagd-Erhebung knapp 1500 Agenturnehmer mit einem Negativsaldo von insgesamt mehr als zwei Millionen Euro betroffen. Schuld daran ist nach Überzeugung des Landesvorsitzenden Rolf Schönenberg aus Hemer das postinterne Buchungssystem EPOS. Trotzdem mache die Post die Agenturnehmer persönlich haftbar, sagte Schönenberg.
Die Pagd spricht von »eklatanten Sicherheitslücken« und einem »handfesten Datenschutzskandal«. Erst seit einem Jahr laufe das System stabil, sagte Modery. Die Zahl der Inventurdifferenzen sei rückläufig. Trotzdem gebe es immer noch extreme Einzelfälle.
Eine der Betroffenen ist Beatrix M. aus Paderborn. Die Betreiberin eines Tabak- und Lottogeschäfts nahm 1999 eine Poststelle in ihren Laden. Das Geschäft mit Briefen, Marken, Paketen und Postsparbüchern lief so gut, dass sie schon nach wenigen Monaten drei Vollzeitkräfte einstellte und in einem Einkaufszentrum einen 100 Quadratmeter großen Shop mietete, in dem die Postagentur mit drei Schaltern die Hälfte abdeckte.
Im Mai 2002 wurde bei einer Kassenprüfung erstmals ein Fehlbestand von gut 42 000 Euro festgestellt - ohne dass sich dafür eine Erklärung fand. Unter der Drohung, man werde ihr die Agentur sofort entziehen, habe seine Mandantin in ihrer Not ein Schuldanerkenntnis unterschrieben, berichtet der Paderborner Rechtsanwalt Helmut Franke. »Sie hatte Angst, ihre Existenz zu verlieren und als alleinerziehende Mutter für ihre damals minderjährigen Kinder nicht mehr aufkommen zu können.« Franke spricht von Nötigung und nennt das Vorgehen der Post »sitten- und rechtswidrig«. Knapp 20 000 Euro hat Beatrix M. bis heute abgezahlt.
Bei einer erneuten Prüfung im September 2004 wies die Kasse ein Minus von gut 77 000 Euro aus. »Nur meine Schwester und ich selbst konnten an die Kasse, aber wir haben kein Geld herausgenommen«, beteuert die Ex-Agenturbetreiberin. Einzig logische Erklärung für Beatrix M. und ihren Anwalt: die ständigen Pannen, Abstürze und Fehlbuchungen im EPOS-System. »Es war für meine Mandantin und ihre Mitarbeiterinnen total frustrierend, beinahe jeden Tag unerklärliche Kassendifferenzen von 70 bis 90 Euro zu haben, die sukzessive auf durchschnittlich 2000 Euro pro Monat anwuchsen«, sagt Rechtsanwalt Franke.
Da nach den Postverträgen Fehlbeträge grundsätzlich das Risiko des Agenturbetreibers sind, verlangt die Post nun in sämtlichen Fällen Schadenersatz. Franke fordert hingegen die Umkehr der Beweislast. Die Post müsse den Nachweis der absoluten Funktionstüchtigkeit des von ihr installierten Systems erbringen.
In keinem der Fälle sei bislang ein Systemfehler nachgewiesen worden, betont Post-Sprecher Achim Gahr. Ursache sämtlicher Fehlbestände seien »menschliche Fehler oder Verfehlungen«. In noch keinem einzigen Fall sei die Deutsche Post AG verurteilt worden.
Was den Pagd-Vorsitzenden Schönenberg nicht wundert: »Sobald eine Niederlage vor Gericht droht, schließt die Post schnell einen Vergleich, damit bloß kein negatives Urteil rechtskräftig wird«.
Auch Anwalt Franke strebt eine Einigung mit der Post AG an. Denn er weiß, dass der Nachweis eines Fehlers im EPOS-System äußerst schwierig ist. Beatrix M. hat - wie viele ihrer früheren Kollegen - längst einen Schlussstrich gezogen und ihre Postagentur Ende 2004 aufgegeben.

Artikel vom 06.05.2006