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Die erlösende Nachricht vom anderen Ende der Welt

Deutsche Irak-Geiseln sind frei - Steinmeiers beste Botschaft aus Chile

Berlin (WB/dpa/Reuters). Kaum ein Land auf dieser Erde liegt weiter entfernt vom Irak als Chile. Ausgerechnet dort verkündete gestern Außenminister Frank Walter Steinmeier seine beste Botschaft: Die deutschen Geiseln René Bräunlich und Thomas Nitzschke sind frei.
Freudentränen vor der Leipziger Nikolaikirche: Gudrun Zipper freut sich mit Sohn Tom über die Freilassung ihrer Mitbürger. Die Glocken der Kirchen läuteten, Sektkorken und Feuerwerkskörper knallten.

Den beiden gehe es den Umständen entsprechend gut, sagte der Minister auf Südamerika-Reise. Er hatte wenige Minuten zuvor mit den beiden persönlich telefoniert. Steinmeier platzte mit der Nachricht in eine Pressekonferenz zu den deutsch-chilenischen Beziehungen. Ruhig, gelassen und unterschwellig ein wenig entspannt gab er das erlösende Statement zur Freilassung der Geiseln ab. »Nach mehr als drei Monaten unter menschenunwürdigen Bedingungen befinden sie sich jetzt in sicherer deutscher Obhut im Irak und werden nach heutigem Stand der Planungen schon morgen nach Deutschland zurückkehren«, sagte der Minister.
Als Nitzschke und Bräunlich gestern in der deutschen Botschaft in Bagdad eintrafen, war auch dort die Erleichterung groß. Allen, die sich seit dem 24. Januar um die Freilassung der beiden Männer aus Leipzig bemüht haben, fiel ein Stein vom Herzen. Denn eine Garantie, dass die beiden in Baidschi verschleppten Techniker die Entführung überleben würden, gab es nie. Selbst wenn es den Entführern, wie irakische Beobachter glauben, von Anfang an nicht um politische Forderungen ging, sondern um Lösegeld: Nicht alle ausländischen Geiseln, die im Irak Kriminellen in die Hände gefallen sind, haben überlebt.
Denn manchmal sind die Grenzen zwischen den selbst ernannten Widerstandskämpfern und den kriminellen Banden auch fließend. Kriminelle können ihre Geiseln umbringen, wenn sie die Geduld verlieren oder an Extremisten weiterreichen, weil sie glauben, selbst keinen »ordentlichen Preis« erzielen zu können. Die Bundesregierung hat sowohl im Fall der deutschen Archäologin Susanne Osthoff als auch bei den Leipziger Geiseln auf Verhandlungen gesetzt. Osthoff war im November letzten Jahres entführt worden und nach 23 Tagen im Dezember wieder frei gekommen.
Auch die US-Journalistin Jill Carroll, die von ihren Entführern Ende März vor dem Gebäude der sunnitischen Islamischen Partei in Bagdad freigelassen wurde, wurde nicht mit Waffengewalt befreit. Dabei hatte die Tatsache, dass die Kidnapper ihren irakischen Übersetzer erschossen hatten, schon deutlich gemacht, dass sie einer Gruppe in die Hände gefallen war, die keine Skrupel hat.
Tränen der Erleichterung, Menschen fallen sich in die Arme, die Glocken der Leipziger Nikolaikirche rufen mit Festtagsgeläut die Botschaft in die Stadt: Thomas Nitzschke und René Bräunlich sind frei. Woche für Woche hatten seit dem 24. Januar hunderte Menschen in einem Lichtermeer von Kerzen vor der Kirche mit Mahnwachen an die Entführer appelliert, das Geisel-Drama zu beenden.
»Das ist die beste Nachricht des Jahres«, sagte Pfarrer Christian Führer. Das sei ein ähnliches Gefühl wie zur Zeit der Wende 1989. Hastig stürzte er in sein Haus. Was die Glocken nur andeuten, wollte der Geistliche mit eiligst gedruckten Handzetteln unter die Menschen bringen: »Die Geiseln sind frei - Gott sei Dank.«
Erleichtert zeigte sich auch die Firma Cryotec (Bennewitz), in deren Auftrag die Leipziger in das Krisengebiet gereist waren. »Ein Fest wird es mit Sicherheit geben«, sagte die Sprecherin des Anlagenbauers, Karin Berndt. Wie die meisten Menschen erhielt sie die Nachricht über Radio und Fernsehen. Geschäftsführer Peter Bienert hat während der Geiselhaft »niemals die Hoffnung aufgegeben«.

Artikel vom 03.05.2006