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Auf-Spießgesellen in satirischer Bestform

Volles Forum: »Mindener Stichlinge« erweisen sich in Senne als Köderfischchen für Besucher

Von Annemargret Ohlig
(Text und Foto)
Senne (WB). Am Anfang war 1966 das »Jau«. Diese urwestfälische Willensbekundung etlicher junger Menschen in der »amateurkabarettistischen Metropole« an der Weser war die Geburtsstunde der »Mindener Stichlinge«. 40 Jahre danach sind die (Auf-)Spießgesellen noch genauso lebendig wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser.

Im Jubiläumsjahr gründeln die Stichlinge, erfrischend wie eh je, im »Morast« der politischen und gesellschaftlichen Maßlosig- und absurden Alltäglichkeiten. 66 Amateur-Kabarettisten rund um Gründungs-»Stichling« Birger Hausmann haben bisher im Wechsel und mit losem Mundwerk Amüsantes und Ärgerliches, Profanes und Programmatisches, Schrilles und Schwarzhumoriges, Wesentliches und auch den ganz normalen Wahnsinn aufgespießt und damit (manches) angerichtet.
Das Beste aus diesen 40 Jahren war jetzt beim Auftritt von Deutschlands ältestem Amateurkabarett im Forum des Senner Schulzentrums zu erleben. Das haben Hausmann und seine Truppe schon seit 1988, traditionell am 1. Mai, fest in ihr jährlich etwa 75 Auftritte umfassendes Tournee-Programm eingebunden.
»51 Besucher waren es bei uns im ersten Jahr, heute ist jeder Platz besetzt, den das Forum nur hergibt - 360 Sitze an der Zahl«, stellte Felix Snelting, Vorsitzender des Kulturkreises Senne und Organisator der Veranstaltung, hochzufrieden fest.
Eine Resonanz, die die »Freizeit«-Kabarettisten gleichermaßen erfreute. Dieter Fechner, Kirsten Gerlhof, Rolf Mietke, Oliver Roth, am Piano Dietmar Möller sowie Stichlings-»Vater« Birger Hausmann, diesmal nicht nur hinter den Kulissen, sondern auch auf der Bühne als Akteur aktiv, präsentierten - auch wenn das Motto »40 Jahre Revue passiert« vordergründig darauf schließen lässt - kein reines »Best of« der vergangene vier Jahrzehnte.
»Allerdings ist manches, was wir als Satire geschrieben haben, inzwischen Realität geworden«, sagte Hausmann. Und fügte schmunzelnd hinzu: »Wir Kabarettisten müssen sehr aufpassen, dass uns in den Politkern nicht eine starke Konkurrenz heranwächst.«
Und so gab's im Forum »Altbekanntes«, höchst aktuell aufbereitet. Was von den Besuchern in Senne immer wieder mit spontanem Szenenapplaus und schließlich lang anhaltendem, begeistertem Schlussapplaus bedacht wurde - Zugaben obligatorisch.
Zuvor aber fordert beim »Streichkonzert« der Berliner Kakofoniker Dirigent (Dieter Fechner) die »Musiker« Münte (Oliver Roth), Michael Glos (Rolf Mietke) und Ulla Schmidt (Kirsten Gerlhof) auf, immer weiter zu »streichen, streichen, streichen - oben nicht streichen, oben jetzt die Hörner füllen«. Auch das Publikum wird vom Stichling-Urgestein Fechner animiert, als Streicher zu fungieren. Zur »Belohnung« dürfen sie sich dann anhören, »wie einfach es doch ist, das Volk dazu zu kriegen, jeden Blödsinn mitzumachen«.
Ob Energiesparwahn der Häuslebauer oder der Tarifdschungel bei den Bahn-Tickets, ob budgetierte Behandlungen im Krankenhaus oder der Austausch derselben gegen Handwerkerdienste - die Stichlinge spießen auf und stecken ihre Stacheln in alles und jedes. Der Kassenpatient bleibt dabei buchstäblich auf der Strecke und landet statt auf dem OP-Tisch auf dem in der »Patho«.
Die »Spieß«-Gesellen machen selbst vor dem Vergnügen des Publikums nicht halt. Ob manch bitterböser Pointe bleibt das Lachen ihnen - aufgespießt - im Halse stecken. Wenn Opa sich zum Beispiel zum 75. Geburtstag - unfreiwillig - seinen Sarg aussuchen »darf«. Weil er schon insgesamt 20 Jahre Rente bezieht, wird er ins Jenseits befördert - seine »Uhr« ist endgültig abgelaufen.
Die der »Stichlinge« jedoch noch längst nicht - auch nicht nach 40 Jahren. Sie wollen weitersticheln -Ɗrabenschwarz. Wunderbar.

Artikel vom 03.05.2006