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Keiner«, murmelte ich.
»Richtig, dein affektiertes Rumgetue hat dir nämlich genau was eingebracht É was genau war das noch mal?«
»Nichts«, bestätigte ich ihm. Dann klopfte er mir auf die Schulter und sagte, ich hätte wenigstens Sinn für Humor, eine für einen Arbeiter wichtige Eigenschaft, und dass er glaube, ich könne es noch zu etwas bringen in der Firma, das heißt, wenn ich keinen Zeitvertrag hätte, was ja bedeutete, dass ich für den Rest meiner im übrigen gezählten Tage Begradiger bleiben würde.

E
s zeigte sich schnell, dass ich bei Fresh & Crispy weder den wahren Wert der Dinge begreifen noch meine Möglichkeiten oder sonst was würde ausschöpfen können. Ebenfalls klar wurde mir, dass ich mich auch nicht aus dem alten Trott ausklinken und fürs Erste auch keine Party für mich steigen würde. Kaum hatte ich einen Gehaltsscheck auf mein Konto eingezahlt, da saß mir auch schon Frank im Nacken und wollte seinen Anteil. Wenn nicht für Lebensmittel, dann für Heizung, wenn nicht für Heizung, dann für Miete.
»Miete? Was meinst du, Miete? Ich habe dir erst letzte Woche Geld für die Miete gegeben. Was hast du damit gemacht?«
»Tja, stimmt schon, Charlie, aber diese Woche müssen wir auch Miete zahlen. Außerdem war das nur Õn Zwanziger, und am nächsten Tag hast du dir fünfzig gepumpt, weil du diesen großen Fisch É«
»Dieser Ýgroße FischÜ war zufällig ein Wildlachs aus County Donegal, und wenn du dich nur ein bisschen auskennen würdest, dann wüsstest du, dass fünfzig Pfund dafür praktisch geschenkt sind. Ich versuche nur, mir einen Hauch von zivilisiertem Leben zu bewahren. Ich meine, Herrgott noch mal, Frank, wir sind doch keine wilden Tiere, oder?«
»Ja sicher, aber trotzdem sind wir ein bisschen im Rückstand, Charlie É«
»Hmm«, brummte ich. Niemanden, der mal miterlebt hatte, wie Frank versuchte, ein Haushaltsbudget zu verwalten, konnte das überraschen. Alle paar Wochen setzte er sich mit einem Sixpack HobsonÕs Choice und einer voll gestopften Plastiktüte an den Küchentisch und kippte den Inhalt - Rechnungen und Quittungen, mit Zahlen bekritzelte Papierschnipsel und Bierdeckel - auf dem Tisch aus. Dann trank er langsam und bedächtig eine Dose nach der anderen. Dann, wenn alle Dosen ausgetrunken waren, einige Stunden, nachdem er sich niedergelassen hatte, stieß er einen leisen Seufzer aus, schob den Papierberg zurück in die Plastiktüte und verstaute diese sorgfältig im Mülleimer.
Selten war mir jemand begegnet, der einen Buchhalter so dringend nötig gehabt hätte. Doch Frank hatte nicht mal ein Bankkonto. »Sind alles Gangster, Charlie«, sagte Frank. »Wenn ich mein Geld Gangstern geben wollte, dann würde ich es Gangstern geben, die ich kenne, nicht irgendwelchen fremden Ärschen.« Stattdessen lagerte er das Geld in einem »Geheimversteck«, einem Strumpf von Celtic Glasgow, der unter seinem Bett lag.

I
ch hatte den Eindruck, dass er er jede Menge Geld hatte und mir seine Strafpredigten nur aus Boshaftigkeit hielt. Seit Bels letztem Besuch beharkten wir uns pausenlos. Meistens ging es um Geld, obwohl auch alles andere Auslöser für einen Streit sein konnte. Es war nur zu offensichtlich, dass Frank, auch wenn er das Gegenteil behauptete, ebenfalls in einer tiefen Depression steckte. Sicher, er alberte mit Droyd herum, als wäre alles in Ordnung, und er trank zahllose Biere und rauchte zahllose Joints, aber er ließ seine Chicken Balls unangetastet auf dem Teller liegen, und mehr als einmal entdeckte ich hinter der Couch aus seinem Entrümpelungsgewerbe stammende Objekte, die bis zur Unkenntlichkeit demoliert waren. Selbst nach seinen eigenen Maßstäben führte er sich flegelhaft und unerträglich auf, und ich war dankbar, dass er inzwischen noch öfter als früher um die Häuser zog und erst spät wieder nach Hause kam.
Angesichts des nahenden Winters und angesichts der Depression, die Frank und mich in ihren Klauen hatte, war es kein Wunder, dass auch Droyd in ein Loch fiel. Frank nahm ihn nie mit auf seine Touren, und außer zu den Terminen in der Methadonklinik und bei seinem Bewährungshelfer ging er nie aus dem Haus. Er hatte sich angewöhnt, ganze Abende am Fenster zu sitzen und nach unten auf die regennasse Straße zu starren. Die Tatsache, dass er auch nicht mehr so oft seine Musik laufen ließ, bereitete mir allerdings nicht allzu viel Kummer. Eines Abends jedoch bat er mich, etwas, dass er geschrieben hatte, auf Fehler durchzusehen. Er gab mir eine labberige Serviette, die mit keilschriftartigen Zeichen bedeckt war.
»Was ist das?«, fragte ich.
»Pressemitteilung«, sagte Droyd. »Für meine Musik.«
»Oh.«
»Muss meinen Leuten Bescheid geben, dass der Droyd wieder startklar ist«, setzte er erläuternd hinzu.
»Hab gar nicht gewusst, dass du komponierst«, sagte ich.
»He?«
»Musik, meine ich.«
»Ah so.« Er betrachtete prüfend einen seiner klobigen goldenen Ringe. »Tja, hab eigentlich noch keine gemacht, weil É ging halt nicht, wegen Knast und so. Aber ich fang bald an É Muss mich erst mal wieder auf die Reihe kriegen. Spiel dann überall, in allen großen Clubs. Rotterdam. Ibiza. Schon mal auf Ibiza gewesen?«
»Nein«, sagte ich.
»Tödlich«, sagte er schniefend. »Da gibtÕs diese Schaumdiscos, wo sie den ganzen Tanzboden mit Schaum voll pumpen, und die Pussys stürzen sich einfach so auf dich und fangen an, dich zu nageln. Wahnsinn.«
»Ja, das hört sich lustig an É« Ich hatte die Serviette schon aus verschiedenen Blickwinkeln untersucht, doch die Keile verteidigten ihr Geheimnis hartnäckig. »Sieht okay aus«, sagte ich. »Wie wärÕs, wenn du es mir vorliest, mal hören, wie es klingt.«
»Genau.« Er nahm die Serviette wieder an sich und fuhr mit dem Finger über das Papier, während er mit stockender, monotoner Stimme las. »Für DJ Droyd gibtÕs nur eins, Musik. Er ist wie eine Maschine, weil ihn keiner stoppen kann. Und auch, weil seine Beats alles für ihn sind und die einzige Hoffnung für die Zukunft. Der Droyd ist bekannt dafür, dass er dazu steht, was er mit seiner Musik sagt. Er sagt, dass wir in einer Kriegszone in der Zukunft leben, und er sagt, dass es noch schlimmer wird. Wenn es Krieg gibt mit den Robotern und Computern, dann gewinnen die locker, weil die nämlich nicht müde werden oder Hunger haben wie die Menschen. Und sie geben auch nie auf wie die Menschen. Die einzige Hoffnung ist, man muss selbst wie ein Roboter werden und darf nicht wie ein Trottel schmalzig rumjammern. Das ist das, was der Droyd euch sagen will.« Er schaute mich an. »Das ist alles bis jetzt.«
»Sehr interessant«, sagte ich. »Verliert möglicherweise gegen Ende hin etwas das Thema, ich meine diese Sache über den Krieg gegen die Roboter. Aber insgesamt, doch, sehr eindrucksvoll.«
»Das ist die Wahrheit«, sagte Droyd mit leiser Stimme und zog sich den Schirm seiner Kappe ins Gesicht.
»Was?«
»Alles hier.« Er machte eine die allgemeine Unordnung umfassende Handbewegung. »Das ist alles Illusion. Im Knast haben wir einen Film darüber gesehen. Alles erschaffen von den Computern, damit wir nicht merken, was wirklich passiert. Wir stecken alle in so Energieröhren, und die zapfen unsere Energie ab.«
»Verflixt«, sagte ich.
»Ja«, sagte er.

T
rotz seiner gelegentlich wirren metaphysischen Auslassungen erreichten wir in jenen Wochen, in denen wir uns in der Gesellschaft des anderen zurechtfinden mussten, eine Art Zustand der Entspannung. Er erzählte mir, dass er Frank kennen gelernt hatte, als dieser aus einem für unbewohnbar erklärten Gebäude eine Badewanne bergen wollte, in der er, Droyd, gerade schlief. Zusammen mit anderem Müll hatte Frank ihn in seinem Lieferwagen mit nach Hause genommen und ihm seine Couch angeboten, bis er sich wieder berappelt habe - was schließlich fast das ganze Jahr gedauert hatte.
»Und was ist dann passiert?«, fragte ich.
»Hab mit Stoff angefangen«, sagte er und rieb sich sachlich die Nase. »Weißt doch, wie das ist. Man wirft ein paar Dinger ein und raucht dann ein bisschen was, um wieder runterzukommen. So fängtÕs an. Nächste, woran du dich erinnerst, ist, dass du in Õne Frittenbude einbrichst.«
»Und dann ist man Cousin Benny É«
»Ja, aber damit ist jetzt Schluss, für immer«, sagte er. »Und du? Was waren die meisten Dinger, die du eingeworfen hast?«
»Hmm, lass mich nachdenken É«
»Ich hatte mal siebzehn, das war, als Frank und ich bei soÕm Rave waren, auf irgendeinem Parkplatz, irgendwo im Süden aufm Land. Der reine Horror, die mussten mich mitÕm Hubschrauber ins Krankenhaus bringen, und dann hab ich zwei Wochen im Rollstuhl gesessen, und der Arzt da hat gesagt, noch ein Ding und ich geh drauf. Und ich sag, dass er sich verpissen soll.« Seine Augen verschleierten sich wehmütig. »Das waren noch Zeiten«, sagte er.
Soweit ich das verstanden hatte, waren »Dinger« eine Art leistungssteigernder Pillen, die in etwa die Wirkung von Multivitaminpräparaten hatten. Laut Droyd wurden sie von unzufriedenen Menschen und Dropouts konsumiert, die bei Raves und Open-air-Tanzveranstaltungen zusammenkamen, die mitten in der Nacht unter Autobahnbrücken oder auf verschlammten Äckern stattfanden.(wird fortgesetzt)

Artikel vom 16.05.2006