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Kein Wort zu
den Vorwürfen

Eltern der neun toten Babys schweigen

Frankfurt (Oder) (dpa). Die Mutter der neun toten Babys von Brieskow-Finkenheerd (Brandenburg) hat gestern zum Prozessauftakt die Aussage verweigert. Sie muss sich wegen achtfachen Totschlags vor dem Landgericht Frankfurt (Oder) verantworten.
Polizisten suchen nach Spuren.

Die verwesten Kinderleichen waren vor einem dreiviertel Jahr entdeckt worden. Die Anklage geht davon aus, dass die 13fache Mutter acht ihrer Kinder zwischen 1992 und 1998 heimlich mit der Absicht zur Welt gebracht hat, sie sofort nach der Geburt zu töten. Der Tod eines weiteren Babys im Jahr 1988 ist verjährt. Der Fall gilt in der deutschen Kriminalgeschichte als beispiellos.
Sabine H. habe die Neugeborenen in Stoffstücke eingewickelt und unversorgt liegen gelassen, bis sie gestorben seien, sagte Staatsanwältin Anette Bargenda. Danach habe die Frau die Leichen in Plastik verpackt in Gefäßen auf dem Balkon vergraben. Die Anklage geht von Totschlag durch Unterlassen aus. Mit einem Urteil wird am 30. Mai gerechnet.
Die neun skelettierten Kinderleichen waren im vergangenen Sommer auf dem elterlichen Grundstück der gelernten Zahnarzthelferin in Brieskow-Finkenheerd entdeckt worden. Die Mutter, die in weißem Pulli und Jeans zum Prozess erschien, sitzt in Untersuchungshaft. Der Vater der zwei Jungen und sieben Mädchen ist der Ex-Ehemann der Frau.
Da die Angeklagte sich nicht zu den Vorwürfen äußerte, verlas die 2. Strafkammer das richterliche Vernehmungsprotokoll der Frau vom 1. August 2005. Danach wollte ihr damaliger Ehemann nach drei gemeinsamen Kindern keinen weiteren Nachwuchs mehr. Sie habe keinem Kind etwas absichtlich antun wollen, gab die Frau damals an. »Ich habe sie nicht vorsätzlich sterben lassen, habe sie einfach liegen lassen, habe mich um sie nicht gekümmert.«
Immer wenn die Wehen einsetzten, habe sie sich betrunken. Am nächsten Vormittag sei sie dann auf dem Balkon ihrer Wohnung aufgewacht. Sie könne sich auch nicht daran erinnern, die Kinderleichen vergraben zu haben. Mit der ersten verheimlichten Entbindung fing der »Teufelskreis« für die Frau an, wie es in dem Protokoll heißt. Sie habe immer öfter zur Flasche gegriffen. Zu einem Frauenarzt sei sie nicht gegangen, aus Furcht vor Entdeckung der vorherigen Schwangerschaften.
Als erster von 80 geladenen Zeugen und Gutachtern wurde der Vater der gestorbenen Babys als Zeuge aufgerufen, der 43-Jährige verweigerte jedoch die Aussage. Nach früheren Angaben der Staatsanwaltschaft will der Mann von den Schwangerschaften nichts gewusst haben. Im Gerichtssaal versuchten die beiden Ex-Eheleute, jeden Blickkontakt zu vermeiden.

Artikel vom 28.04.2006