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Äckern?«, sagte ich. »Und wenn es regnet?«
Droyd zuckte die Achseln. »Bisschen Spaß braucht jeder, stimmtÕs nicht?« Sein Knie zuckte nervös, dann wandte er sich wieder dem leeren schwarzen Viereck des Fensters zu. »Was soll der ganze Mist sonst?«
Während die Tage bei Fresh & Crispy verstrichen und jeder Tag dem vorigen aufs Haar glich, stellte ich mir fortwährend diese Frage. Weit davon entfernt, das Schlagholz in die Hand zu bekommen und mir meine lang gehegten Träume von einem Dasein als nützliches Mitglied der Gesellschaft zu erfüllen, hatte ich das Gefühl, eine ausgedehnte, belanglose Abschweifung entfernte mich von meinem eigenen Leben. Und wie die Stollen auf ihrem Weg in die Zuckergussmaschine unter meinen Augen zu einem einzigen Stollen verschmolzen, so verbanden sich die Stunden und Tage zu einem einzigen grenzenlosen zeitlichen Block, sodass auch mein Leben selbst einem Fließband glich. Warum sollte es nicht auf die gleiche Art immer so weitergehen? Und dann geschah es, dass Frank eines Abends zu Hause blieb.

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ir saßen alle zusammen vor dem Fernseher. Frank mochte den Vierundzwanzig-Stunden-Nachrichtensender, auf dem sie normalerweise immer irgendwelche Bilder von explodierenden Sachen aus dem einen oder anderen Krieg brachten. Ich hatte die Theorie, dass seine Begeisterung dafür auf seine Zeit beim Friedenskorps im Libanon zurückging. Allerdings, wenn man ihm zuhörte, hätte man meinen können, sie hätten damals nichts anderes getan als rumzuhängen und den US-Marines Streiche zu spielen - dergestalt, dass sie sich von hinten an sie anschlichen, direkt neben ihren Ohren Luftballons platzen ließen und »Attacke! Attacke!« brüllten.
Bilder von einem Panzer, der an einer Frau vorbeirollte und dann über den Schutthaufen ihres Hauses, leiteten über zu einer Werbepause. Zu monoton stampfender Musik ging eine Zeichentricksonne mit psychodelischen Spiralaugen auf, die etwas beleuchtete, das aussah wie eine Gefängnisinsel für Skinheads.
»Ibiza«, sagte Droyd mit amtlicher Stimme. »Irgendwann bald düsen wir ab nach Ibiza É was, Frankie?«
»Klar«, sagte Frank.

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rgendwann bald«, sagte Droyd gähnend und breitete die Arme aus. »Und auf das hier alles ist geschissen É ab und weg, bis dann mal, ihr Penner É Aaah, am Strand ein Bierchen nach dem andern kippen, und dann abends in die Discos, Frankie?«
»Klar«, sagte Frankie mit wehleidiger Stimme, zerdrückte seine Dose und ließ sie auf den Boden fallen.
Droyd drehte sich um und warf ihm einen langen, vernichtenden Blick zu. »Verdammter Mist«, sagte er.
»Was ist?«, fragte Frank.
»Ist bloß Õne Pussy«, sagte Droyd.
Frank gab unverdrossen die ahnungslose Unschuld.
»Du weißt, was ich meine«, sagte Droyd, der sich langsam Sorgen machte. »Machst hier einen auf Jammerlappen.« Er stand auf. »Die drei F, Frankie, weißt du noch, wer mir das beigebracht hat? Finden, ficken, fallen lassen É Na, was ist, von wem ist das wohl?«
»Also wirklich«, protestierte ich. »Das ist meine Schwester, von der ihr da redet!«
»Das ist mir egal«, sagte Droyd erregt. »Schau dir doch an, was sie aus dem Penner da gemacht hat. Früher sind wir losgezogen und haben uns herrlich geprügelt. Früher ist er dauernd zu ZiggyÕs rüber und hat sich Õn paar Dinger eingeworfen. Und jetzt? Nichts. Weißt du eigentlich, was der jetzt abends macht? He, weißt duÕs?«
Frank erstarrte.
»Genau«, blaffte Droyd Frank mit zitternder Stimme an. »Hättest du nicht gedacht, dass ich das weiß, he? Lügst mich an, deinen besten Kumpel. Von wegen, du machst einen drauf mit Niallser und Micker oder mit Ste oder Bignose Rogan. Die haben dich seit Monaten nicht gesehen.« Er drehte sich wieder zu mir, die Aknepickel leuchteten bläulich in seinem teigig weißen Gesicht. »Letzte Nacht, da hab ich mich hinten drin in seinem Wagen versteckt, und weißt du, wo er hin ist? Raus nach Killiney ist er gefahren, und da sitzt er dann und starrt raus aufs Meer.«
Frank schlug beschämt die Augen nieder.
Droyd stampfte jetzt im Wohnzimmer herum und fuchtelte mit den Armen. »Aufs Meer!«, brüllte Droyd. »Aufs Scheißmeer!«

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rank sagte nichts. Er kauerte wie geschrumpft in seinem Sessel und gab ein jammervolles Bild ab. Droyd hob seine Jacke vom Boden auf, setzte sich seine Kappe auf und stellte sich dann zwischen Fernseher und Frank. »Ich pack das nicht«, gröhlte er. »Ich kenn dich gar nicht mehr!« Und damit stürmte er aus der Wohnung, schlug die Tür hinter sich zu und ließ Frank und mich in peinlicher Stille zurück. »É von einer finanziellen und politischen Skrupellosigkeit, dass es einem, Zitat, die Sprache verschlägt«, sagte der Fernseher und zeigte uns einen korpulenten Mann in grauem Anzug, der sich vor Dublin Castle einen Weg durch die Menge der Reporter bahnte.

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rank machte ein leises schmatzendes Geräusch und tat so, als wischte er sich etwas aus dem Auge. Lassen Sie mich an dieser Stelle kurz einräumen, dass mich meine Umwelt in aller Regel nicht als feinfühligen Mitmenschen wahrnimmt. Bel erinnerte mich pausenlos daran - als wir noch jünger waren, hatte sie daraus sogar einen Partygag gemacht. Wann immer sie Freundinnen aus der Schule zu Besuch hatte, wandte sie sich irgendwann im Laufe des Abends an mich und fragte mit lauter Stimme: »He, Charles, was ist eigentlich Empathie?« Und ich, der ich mir immer vorgenommen hatte, es fürs nächste Mal im Lexikon nachzuschlagen, aber irgendwie nie dazu gekommen war, fühlte mich dann genötigt, irgendwas zu antworten. Ich sagte dann etwas wie, ob das nicht das sei, wenn jemand gähnte und alle anderen müssten dann auch gähnen, worauf alle ihre Freundinnen anfingen, maliziös zu gackern, und Bel dann sagte: »Da seht ihrÕs. Als würde man mit einem pulsierenden Sitzsack zusammenleben.«
Und so war ich - was in etwa damit vergleichbar ist, wenn man sich versehentlich auf einen Pudding setzt - höchst überrascht und beunruhigt über die Entdeckung, dass ich in diesem Augenblick eine sehr genaue Ahnung davon hatte, was sich gerade in Franks Kopf abspielte, und zwar deshalb, weil das Gleiche auch mich in den vergangenen Wochen umgetrieben hatte. Also schaute ich ihn an und fragte, ob alles in Ordnung sei.
»Ach, Charlie É«, sagte er mit gebrochener Stimme und schimmernden Schweinsäuglein. »Ach, Charlie É«
»Schon gut«, sagte ich und tätschelte seinen Arm. »Ich weiß Bescheid.«

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ann schlug er sich vor den Kopf und sagte laut: »Was bin ich doch für ein Volltrottel! Wie bin ich bloß drauf gekommen, dass das wieder werden könnte. Ich hab ja noch nicht mal gewusst, warum sie überhaupt mit mir ausgegangen ist É«
»Sei nicht albern«, sagte ich. »Sie hatte jede Menge Gründe dafür. Du bist É äh É du bist eben Frank. Du hast einen Lieferwagen. Und ein gut gehendes Geschäft. Und du haust all diesen anderen, weißt schon, dem Wichser und seiner Bande, kräftig eins auf die Fresse.«
Traurig schüttelte er den Kopf. »Wenn du sie gesehen hättest, Charlie, beim letzten Mal, wie sie mich da angeschaut hat É Als ob sie sich geschämt hätte wegen mir, als wär ich irgendein mieser Sack É« Eine dicke, zähflüssige Träne lief ihm an der Nase herunter.

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ch was, Bel schämt sich doch wegen jedem«, sagte ich. »Über mich hat sie den Leuten immer erzählt, dass ich nur deshalb im Haus sei, weil die Regierung irgendein Experiment mache. Hier, nimm dasÉ« Ich gab ihm eine Serviette und merkte zu spät, dass das Droyds Pressemitteilung war. »Ich weiß, du meinst jetzt, alles ist aus. Aber du darfst dich nicht gehen lassen. An anderen Bäumen hängen auch noch Äpfel, na ja, weißt schon.«

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ein Nicken sah nicht sehr überzeugend aus. Wir verfielen in zerknirschtes Schweigen, wobei einer von uns mit unleserlichen keilschriftartigen Zeichen übersät war. Noch Äpfel an anderen Bäumen, nun ja, nicht gerade tröstlich. Aber was sollte ich ihm sagen? Er war nicht der Erste, der dahergetaumelt kam und sich mit seinem achtlosen Herzen an ihren Ecken und Kanten und in ihrem vielschichtigen Wesen verfangen hatte. Er war nicht der Erste, der seine eine große Liebe gefunden zu haben glaubte, um dann zu erkennen, dass er die ganze Zeit nur eine Rolle gesprochen hatte, dass alles nur ein Probesprechen gewesen war, dass er nur etwas war, dem Bel auf ihrem Weg zu weiß Gott wohin zufällig begegnet war.

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erdammt, fuhr es mir in einer plötzlichen Gefühlsaufwallung durch den Kopf, warum konnte sie nicht einmal was richtig machen? Das war doch kein angemessenes Ende für eine Dreiecksgeschichte, die wir derart sorgsam aufgebaut hatten, mit all ihren zarten Spannungen, mit all ihren Gipfelpunkten und Widersprüchen. Angemessen wären bebende Lippen, Tränen, wechselseitige Anwürfe; angemessen wären harsche Worte, zerstörte Hoffnungen, theatralische Abgänge mit knallenden Türen. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 17.05.2006