28.04.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Die Bereitschaft zu Reformen und
Opfern ist schneller dahin, als die Politik vorankommt.«

Leitartikel
Gesundheitskosten

Warten auf den ganz großen Wurf


Von Reinhard Brockmann
Gut 90 Prozent der Deutschen wissen, dass die bisherigen Reformen im Gesundheitswesen noch nicht ausreichen, um stabile Verhältnisse zu schaffen - siehe auch die Grafik rechts. Die Politik darf getrost von einer großen Einsicht ihrer Wähler in das Notwendige ausgehen, selbst wenn es weh tut. Dennoch gibt es immer noch nicht den ganz großen Wurf, vieles schleppt sich dahin.
Die Bereitschaft zu umfassenden Reformen erinnert an die frühen 90er Jahre, als die Politik noch glaubte, die deutsche Einheit lasse sich aus der Portokasse bezahlen. Anfangs wollte damals fast jeder Bürger gern etwas dazu beitragen. Als der Solidaritätszuschlag - drei Jahre später - eingeführt wurde, war die große Zahlungsfreude aber längst wieder dahin. Politik muss schnell handeln, wenn sie Opfer braucht. Das Zeitfenster zu grundlegend Neuem ist eng - sowohl für die große Koalition als auch bezogen auf die Bereitschaft der Deutschen, ihr Portemonnaie zu öffnen. Die Diskussion um Beiträge, Gesundheitssoli und/oder Gesundheitsfonds verläuft viel zu zaghaft.
Völlig ausgeblendet wird übrigens, dass auch die Strukturen reformiert werden müssten. Laut »Financial Times Deutschland« schätzt Gesundheitsministerin Ulla Schmidt die Einsparmöglichkeiten auf bis zu sechs Milliarden Euro. Berlin dementiert nur die Zahl, nicht die Tatsache als solche. Das heißt: Auch an dieser Stelle ist Stillstand schädlich, hier ist gleichfalls Tempo angesagt. Es ist eben immer noch bequemer, mehr Geld auszugeben als weniger.
Volker Kauders Vorschlag für einen Gesundheitsfonds bremsen die Bedenkenträger schon wieder auf Nebenschauplätzen aus. Private Krankenversicherer würden »kaputt gemacht«, heißt es.
Dabei ist noch völlig unklar, was wirklich mit den acht Prozent Privatversicherten geschieht, wenn Bürger und Unternehmen Beiträge nicht mehr direkt an die Kassen zahlen, sondern in einen Pool. Außerdem: In diesen Fonds werden vor allem Steuergelder fließen, um die Mitversicherung von Kindern zu bezahlen. Gerade hier ist Vorsicht angesagt, denn jede Steuerschraube wird erfahrungsgemäß gern »nachgestellt«. Schon der jetzige Vorschlag kostet Spitzenverdiener 3,4 Prozent ihres Einkommens. Privatversicherte mit Kindern werden wiederum bevorzugt, denn die Segnungen der »Familienhilfe« genießen bislang nur gesetzlich Versicherte.
Vor allem aber die überraschende Erkenntnis, dass Rentner mehr als andere von den Steuergeldern zugunsten der Kinder profitieren, zwingt zur Neuüberlegung. Gar nicht mehr die Rede ist vom SPD-Modell Bürgerversicherung. Der Grund dafür ist ganz einfach: Die Sache hatte lediglich eine tolle Überschrift, war im Kleingedruckten aber nie richtig ausformuliert.
Aktuell gibt es nur noch die Wahl zwischen alter CDU-Kopfprämie und Kauders neuem Fondsmodell. Das eine wie das andere kostet den Bürger mehr Geld, am meisten die freiwillig Gesetzlich Versicherten.

Artikel vom 28.04.2006