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Wo stand der
erste Maibaum?
Na, in Jürmke!

Überraschender Fund in altem Buch

Von Matthias Meyer zur Heyde
Jöllenbeck (WB). Viel älter als gedacht ist der Brauch, einen Maibaum zu errichten. Und nach allerneuesten Forschungen stand Westfalens ältester Maibaum in Jöllenbeck.

Bislang hatten sich die Siegen-Wittgensteiner gebrüstet, den schönen Brauch als erste in heimischen Landen geübt zu haben - so um 1900 herum. Glatte 220 Jahre vor ihnen jedoch, Anno 1680, sägten sich die Jöllenbecker einen schlanken Stamm zurecht und »haben Uppigkeit getrieben« und »dabei gesoffen«.
So jedenfalls steht's in einem alten Wälzer geschrieben, in dem der Pfarrer Joachim Henrich Hagedorn 62 Jahre später allerlei Denkwürdigkeiten notierte. »Successoribus« - für meine Nachfolger - betitelte er die 15 Zentimeter dicke Handschrift im Folio-Format (etwas größer als DIN-A 4). Im Jahre 1742 merkte Hagedorn mitleidig an, dass der »Meibaum« zu Jürmke »dem Pastori zum Tort« errichtet worden sei. »Tort« heißt soviel wie »Schrecken«, »Schmerz« oder »Ärgernis«.
Und Pastor Johan Heiman(n) muss sich wirklich tüchtig geärgert haben, hatte er doch soeben einen Prozess verloren, bei dem 88 (!) Anklagepunkte verhandelt wurden. Zu Pfingsten schien der der Sieg der Gegner festzustehen. Man becherte »vor dem Kruge« (Wirtshaus) und errichtete einen Pfahl, an dessen Spitze vermutlich eine kleine Birke gebunden wurde. Tja, und dann schritt die Obrigkeit ein, brachte das Gelage zur Anzeige, und der Große Kurfürst befahl einen Vergleich. Er befürchtete nämlich, im Falle einer Verurteilung würden auch benachbarte Pfarrer Schwierigkeiten mit »renitenten« Bauern bekommen . . .
Westfalens ältesten Maibaum hat Dr. Lutz Volmer (28) entdeckt, als er die »Successoribus«-Schrift studierte, »um mittels Lektüre ein Gefühl für alte Handschriften zu bekommen«. Er weiß, dass der uralt wirkende Brauch in Wirklichkeit von den NS-Volkstümlern als Massenphänomen etabliert wurde - »als Sinnbild der erwachenden Natur«. Vorher errichtete man wohl zu ganz verschiedenen Anlässen, quer durch die Jahreszeiten, einen (anfangs schmucklosen) Pfahl.
Wie der Zufall so spielt: Der Volkskundler aus Jöllenbeck, der jetzt in Münster für den Landschaftsverband Westfalen-Lippe arbeitet, zitiert nur, was schwarz auf weiß längst in Horst Ulrich Fuhrmanns Jöllenbecker Chronik von 1991 steht. In der findet sich auch die Überschrift über Pastor Hagedorns Notiz: »Meibaum«.
Vorher hat's nur keiner gemerkt, dass der Jöllenbecker Junibaum (Pfingsten 1680 war am 9. Juni) der älteste im Lande ist.

Artikel vom 27.04.2006