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Das Leben pocht im Takt
musikalischer Rhythmen

Umjubelte Konzerte der Bielefelder Philharmoniker

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Wo es pocht und pulsiert, ist das Leben. Unter anderem gilt dies für Musik, bei der der Rhythmus als Urkraft tönender Kunst maßgebend ist. Eine einnehmende Demonstration der energetischen Urgewalt rhythmischer Bewegungsimpulse boten die Bielefelder Philharmoniker jetzt unter dem Motto »Apotheose des Tanzes«.

Generalmusikdirektor Peter Kuhn hatte den Programmzettel des 6. Freitags- und 5. Sonntagskonzertes mit eindrucksvollen bekannten und weniger bekannten Kostproben bestückt. Und seine musikalischen Entfesselungskünste sowie ein perfekt »parierendes« Orchester veranlasste das Freitagspublikum in der gut besuchten Oetkerhalle am Ende zu ovationenhaftem Beifall.
Dieser galt in erster Linie Beethovens 7. Sinfonie in einer fesselnden Interpretationsleistung, die weniger der Frage »kriegerisch« oder »festlich-tänzerisch« folgte, sondern die Bewegungsenergie des Werks zum Ausgang und Kern des Ganzen erhob -Ê ohne dabei die Details der Formen und Linien zu vernachlässigen.
Kuhn lässt den Viersätzer markig strukturiert aufspielen, deckt aber zugleich die immense rhythmische Energie auf, die sich mal in lustvoll gesteigerten Spannungsbögen entlädt, mal zu einer mehrdeutigen Lesart führt. Etwa wenn der freudige Taumel Züge des Wahnsinns trägt oder tänzelnde Leichtigkeit eine trügerische Komponente enthält. Agogisch ausgefeilt und in vollendeter Klangtransparenz dargeboten, entfaltete das Werk eine geradezu sogartige Wirkung, die dem Orchester und seinem Chef einen wahren Triumph bescherte.
Auch zuvor schon hatte man bei Mozarts Haffner-Sinfonie mit kultiviert tänzelnder Impulskraft, mit musikantisch pointierter Genauigkeit sowie facettenreicher Dynamik ganz im Sinne des Komponisten »Effekt machen« können.
Zwischen den klassischen, delikat dargebotenen Eckpunkten galt es, sich mit dem metrisch ruhelosen und äußerst verwobenen Stimm- und Orchestersatz von Igor Strawinskys »Les Noces« vertraut zu machen. Das Werk für Chor (sattelfeste Einstudierung: Hagen Enke), Solisten (Anna Korondi, Sopran; Allyson McHardy, Mezzosopran; Simeon Esper, Tenor; Jacek Janiszewski, Bass) und kleines, aber schlagkräftiges Orchester verdichtet klanglich die Atmosphäre einer russischen Bauernhochzeit. Der Schmunzelfaktor der via Übertitelungsanlage nachvollzogenen Übersetzung des in russischer Sprache gesungenen Werkes sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass an Stelle des die Realität nachahmenden Illusionstheaters das Prinzip der Stimmungsmalerei vorherrscht.
Respekt muss man allen Beteiligten zollen, denen es gelang, unter dem straff-treibenden Dirigat von Peter Kuhn die zum Teil komplizierten polymetrischen Schichtungen in vitaler und spannungsvoller Weise zu Gehör zu bringen. Einnehmend auch die Ausdrucksvielfalt, die Chor, Solisten und Orchester dem zwischen Volkslied und Litanei changierenden Werk abgewannen. Auch dafür gab's lang anhaltenden, anerkennenden Applaus.

Artikel vom 01.05.2006