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Wenn in der Karibik ein
schottisches Tal auftaucht
Barbados bietet eine spannende Mischung aus imposanten Landschaften
Eben noch säumte Zuckerrohr beide Seiten der schmalen Straße. Die Felder begannen kurz hinter der Nobel-Siedlung von Westmoreland, wo Promis vom Schlage einer Oprah Winfrey ihr gar nicht bescheidenes Feriendomizil haben.
Jetzt hat sich die Szenerie gewandelt: Dichter, saftig grüner Urwald lässt den Weg zum Tunnel werden, durch den sich die Sonnenstrahlen nur schwerlich einen Weg zum Boden bahnen können. Schlingpflanzen wuchern um die Baumstämme herum, riesige grüne Blätter bedecken den Boden in knapp einem Meter Höhe. Ein schiefes Schild weist den Weg zur St. Nicholas Abbey. Das würde passen - ein Kloster in diesem einsamen Landstrich im Norden von Barbados. Die Religion spielt im Leben der Insulaner eine wichtige Rolle, doch in dem holländisch anmutenden Gebäude, welches kurze Zeit später auftaucht, wird nicht Gott gehuldigt, sondern dem schnöden Mammon. Es ist eine ehemalige Plantage, und die Besitzer wollen ihre Ruhe haben. Jedenfalls stehen überall drohende Schilder, man müsse 15 Dollar Eintritt bezahlen, wenn man noch einen Schritt weitergeht. Also schnurstracks zurück in den Urwald, der alles zu verschlucken scheint. Die Straße windet sich weiter durch das ewige Grün, und am Ende einer Gerade scheint Licht ins Ende des natürlichen Tunnels zu gelangen. Die Bäume weichen zurück, in dem Moment hat das Auto eine Kuppe erreicht, und vor uns liegt - Schottland. Okay, ein paar Palmen stören den Eindruck, aber das weite, grüne Tal, eingerahmt von Bergen einer der rauhesten karibischen Küsten, hat tatsächlich etwas Schottisches. Wow, welch ein Ausblick! Und es soll noch besser kommen. Auf dem Weg ins Tal taucht eine Windmühle auf - wieder eine Erinnerung an Holland, das auf Barbados doch eigentlich gar keine Rolle spielte. Aber die Flügel des Holländers drehen sich im Wind, und ein dezentes Schild verheißt: Der Müller ist in Wahrheit ein Galerist und verkauft Kunst. Endlich ist die Küste erreicht. Rechts der Straße: steile Felsen. Links: eine schmale Düne, dahinter tobt der Ozean. Wild donnern die Wellen an das steinige Ufer, die Luft ist erfüllt von Gischt. Kein Inhalatorium der Welt zerstäubt die salzhaltigen Aerosole so perfekt - ein Fest für die großstadtgestresste Lunge, die hier keine Abgase einatmen muss. Der Wind kommt vom Meer, und die nächste Landmasse hinter dem Horizont sind die kanarischen Inseln. Ein Riese scheint mit Felsbrocken gespielt zu haben. Riesige Klötze liegen am und im Meer, umtost von den brüllenden Fluten. Von den Einwohnern des nahegelegenen St. Elizabeth sagt man, sie mögen weder Lärm noch Streit - für sie zählt nur Krieg. Im nächsten Dorf namens Bathsheba klingt das schon ganz anders. »Jah Man«, rufen die Fischer, »komm her und schau Dir unseren Fang an. Diese Fische haben ein glückliches Leben gehabt vor einer der schönsten Küsten der Welt. Und heute Abend machen sie uns und unsere Familien glücklich, wenn wir sie auf den Grill werfen.« Hinter den Bergen neigt sich der Tag, das Sonnenlicht lässt die dramatischen Wolken über der rauen See gülden leuchten. Pure Romantik? Nein, eher wilde Romantik. Eine Landschaft für Poeten? Nein, eher für Romanciers, die vom einfachen Leben ehrlicher Leute fesselnd zu schreiben vermögen. Schade, James Michener hätte die Geschichte dieser Bucht sicher hochspannend erzählen können. Eine Küste für Maler? Ganz bestimmt nicht, denn die getreue Abbildung würde dem armen Künstler sicher als idealisierende Übertreibung ausgelegt. Da haben es die Fotografen leichter, die den Augenblick festhalten, das letzte Glimmen der Sonne, die spritzende Gischt im Abendlicht. Dazu eine Palmen-Kulisse vom Allerfeinsten. Würde man jetzt filmen, so würde sich ins Donnern des Ozeans und Rauschen der steifen Brise immer wieder ein amerikanisches »Woooow« mischen - oder ein westfälisches »Boah ey, Waaaahnsinn!«
Thomas Albertsen

Artikel vom 06.05.2006