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Vater und Sohn
wollen Lauf
nur »genießen«

Tjard-Gedeon Gößling (7) der Jüngste

Von Jörg Manthey
Bielefeld (WB). 34. Hermannslauf, 24. April 2005. Der kleine Zaungast im Zielbereich der Promenade war über alle Maßen beeindruckt. Schnaufend stand Gesamtsieger Ingo Horst vor ihm, zum Anfassen nah, bestückt mit einem dicken Siegerkranz, und hechelte nach Luft. »Papa, ich will im nächsten Jahr auch mal gewinnen«, sagte Tjard-Gedeon Gößling begeistert. Gesagt - getan. Nach reibungslos verlaufener achtmonatiger Vorbereitung steht der heute Siebenjährige am Sonntag als allerjüngster Teilnehmer der 7 000-köpfigen Läuferlegion am Hermannsdenkmal mit der Startnummer 2960 neben seinem Vater Uwe Gößling (41).

»Er hat nicht locker gelassen. Wir beide wollen dieses Breitensportereignis einfach nur genießen. Die Zeit ist total sekundär«, entgegnet Uwe Gößling allen Kritikern, die jetzt womöglich eine Überforderung des Erstklässlers der Laborschule wittern. Familienintern wird das »Unternehmen Hermann« von Mutter und Großmutter ohnehin mit ausreichend Sorge und Skepsis betrachtet. »Ich weiß selber, dass so eine Belastung in der Wachstumsphase ein zweischneidiges Schwert für ein Kind sein kann. Aber der Junge hat ein Faible fürs Laufen. Dieser 35. Hermannslauf wird ein Schlüsselerlebnis für ihn«, wirbt Uwe Gößling um Nachsicht und verspricht: »Wir bleiben total loc-ker. Dieser Lauf soll ja Spaß und Geschmack auf den nächsten und den übernächsten machen und nicht das Gegenteil bewirken«. Und augenzwinkernd: »Wenn schon Mitleid, dann sollen sie es bitteschön mit mir haben«.
Seit Juli 2005, direkt nach dem Kreat-Urlaub, sind Vater und Sohn bei Wind und Wetter unterwegs. »Ganz ehrlich; bei unseren Trainingsläufen war ich es, der manchmal ein wenig überfordert war. Gerade bei Steigungen habe ich Mühe, ihm zu folgen. Je steiler, umso mehr Meter nimmt er mir ab«, schmunzelt der Referent für berufliche Bildung bei der Indus-trie- und Handelskammer. »Ich quäle mich, und ihm nachen die Kilometer gar nichts aus«.
Als Indiz dafür könnte etwa die ungebrochene Redseligkeit des Filius herhalten. »Er quasselt die ganze Zeit und kann problemlos drei Stunden was über Dinosaurier erzählen«, meint Uwe Gößling.
Eine korrekte Vorbereitung auf den ostwestfälischen Kultlauf, der »gerne im Regen« stattfinden dürfe, fordert in der Ernährung natürlich persönliche Opfer. Derweil »Naturmensch« Uwe Gößling seit geraumer Zeit den Rotwein weglässt (»Der macht dick«) und tatsächlich acht Kilogramm abgespeckt hat, sind Hamburger und Pommes für Tjard-Gedeon derzeit tabu. »Dabei esse ich die so gern«. Stattdessen werden Kohlehydrate und Vitamine in Form von Nudeln und Obst gebunkert.
Die Gößlings wohnen in der Nähe der Schwedenschanze in Dornberg. Ein gutes Terrain, um den Kammweg des Teutoburger Waldes zu imitieren. Das kontinuierliche Feilen der »Hermänner« an ihrer körperlichen Fitness ist an der Stoppuhr abzulesen. An die 28 Kilometer lang ist die härteste und bislang dreimal angegangene Trainingsetappe. Von 3:45 Stunden mit Gehpausen verbesserte sich das Duo auf 3:03 Stunden.
Uwe Gößling hatte im Alter von zwölf Jahren seinen ersten »Hermann« bestritten; inspiriert von seinem damaligen Sportlehrer Karl-Heinz Kelle. »Alle, die am Hermannslauf teilnehmen, kriegen automatisch eine Zwei in Sport«, erinnert sich der frühere Bosse-Realschüler schmunzelnd an die verbale Vorlage des bekannten Hochspringers. Das war 1977 und er warm eingepackt mit Skimütze und dicken Handschuhen bei einem kalten Mix von Sonne, Regen und Schnee. Inzwischen hat Uwe Gößling 15 Hermannsläufe absolviert, den letzten im Jahr 1995. »Seine Geburt hatte die Serie ein bisschen unterbrochen, jetzt hat Tjard mich wieder zurückgeholt«.
Tjard-Gedeon Gößling ist ein sportlicher Bursche, spielt noch in der F 2-Jugend des TuS Dornberg Fußball und schwimmt bei der DLRG. Ach ja: Und Fan des FC Bayern München ist der Knirps auch noch, was bisweilen zu Kollisionen führt, da sein Vater es mit den Bielefelder Arminen hält. Dass sein Lieblingsspieler Oliver Kahn für die WM nur noch die zweite Geige im Tor der deutschen Nationalmannschaft spielt, ficht den kecken Wuschelkopf nicht weiter an. »Der Lehmann«, sagt Tjard-Gedeon Gößling mit wichtigem Gesichtsausdruck, »wird sich sowieso verletzen«.

Artikel vom 29.04.2006