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In 52 Minuten stecken
gut 500 Stunden Arbeit

Dokumentation schildert städtebauliche Entwicklung

Von Peter Monke
Sennestadt (WB). Ein komplettes Jahr, rund 500 Stunden Arbeit und jede Menge Herzblut hat Rolf Oberschelp (66) investiert. Er wühlte in Archiven, las zahlreiche Bücher, zog mit der Kamera durch die Gegend und wertete schließlich zehn Stunden Rohmaterial aus. Das Ergebnis seiner Mühen ist ein neuer, insgesamt 52 Minuten langer Film über Sennestadt. Am morgigen Freitag wird das Werk in Kooperation mit dem Sennestadtverein erstmals der Öffentlichkeit präsentiert.

Unter dem Titel »Organische Stadtbaukunst« hat sich Oberschelp vor allem mit dem städtebaulichen Entwicklungsprozess des heutigen Bielefelder Stadtteils auseinandergesetzt. »Sennestadt hat im Vergleich zu allen anderen Stadtneugründungen nach dem Zweiten Weltkrieg den Bewährungstest am besten bestanden«, sagt er. Noch heute werde das Konzept als beispielhaft in vielen Städtebau-Vorlesungen an den Universitäten hervorgehoben.
Seinen Film beginnt der ehemalige Architekt und langjährige Leiter des Hochbauamtes in Osnabrück, der heute Mitglied im Beirat für Stadtgestaltung der Stadt Bielefeld ist, mit einer generellen Einführung über den Städtebau. »Normalerweise haben Städte über hunderte von Jahren Zeit zu wachsen und somit eine viel bessere Chance, von ihren Bewohnern akzeptiert zu werden als ein Konstrukt wie die Sennestadt, das mehr oder weniger aus dem Boden gestampft wird.« Für einen langen Reifeprozess blieb angesichts der enormen Wohnungsnot nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch keine Zeit. Dem stimmigen Konzept von Dr. Hans Bernhard Reichow aus Hamburg, der den städtebaulichen Wettbewerb 1954 gegen dreiundzwanzig Mitbewerber gewann, sei es in erster Linie zu verdanken, dass trotz der kurzen Planungszeit kaum Fehler beim Aufbau der Sennestadt gemacht wurden.
»Reichows Ideen waren revolutionär und wurden begeistert aufgegriffen«, erzählt Oberschelp. Dem gängigen Bild einer befestigten Stadt mit geometrischer Struktur setzte er das Konzept der Stadtlandschaft entgegen. Fließende Übergänge zwischen Wohneinheiten und Landschaft und eine allgegenwärtige Nähe zur Natur sollten für hohe Lebensqualität sorgen. »Noch heute führt das Geh- und Radwegenetz an seinen Endpunkten in den Teutoburger Wald, sind die Häuser der Sennestadt nach Süd, West oder Süd-West ausgerichtet, damit ihre Bewohner möglichst lange die Sonne genießen können«, lobt Oberschelp. Verkehrspolitisch habe Reichow ebenfalls Weitsicht bewiesen, indem er von einem höheren Verkehrsaufkommen ausgegangen sei und frühzeitig auf Kreisverkehre anstelle von Kreuzungen gesetzt habe. Nicht zuletzt sei die Integrationspolitik in Sennestadt gelungen, weil Reichow baulich stets auf eine Durchmischung der verschiedenen Kulturen und Bevölkerungsgruppen in der Flüchtlingsstadt geachtet habe.
Neben dieser positiven Anfangszeit bringt Oberschelps Film aber auch die schwierigere Phase ab Mitte der 70er Jahre zur Sprache. »Nachdem Sennestadt im Zuge der Gebietsreform zum Bielefelder Stadtbezirk wurde, setzte baulich eine Stagnation ein«, sagt er. Angesichts der neuen, gut ausgestatteten Infrastruktur in Sennestadt habe es in Bielefeld dringendere Probleme gegeben. Erst in den 80er Jahren kam mit der Planung der Stadtmitte wieder etwas mehr Schwung in die Stadtentwicklung.
Um die städtebauliche Geschichte Sennestadts ansprechend dokumentieren zu können, hat Oberschelp keine Mühen gescheut. Aus den 50er und 60er Jahren organisierte er umfangreiches Archivmaterial. Für aktuelle Bilder der Sennestadt startete er mit einer Cesna vom Flugplatz Windelsbleiche zu einem Rundflug. In zahlreichen Interview-Ausschnitten kommen außerdem die Bewohner der Sennestadt zu Wort: »Die meisten äußern große Zufriedenheit über ihre Lebensverhältnisse«, sagt Oberschelp. Nur bei der Verkehrsanbindung an Bielefeld bestehe Nachholbedarf.
In diesem Punkt setzt der 66-Jährige in seinem Film große Hoffnungen auf den Ausbau der Autobahn 33 und einen damit eventuell möglichen Rückbau der Paderborner Straße. Zum einen könne so die bestehende Verkehrsschneise zwischen Südstadt und Kernstadt entschärft werden. Des Weiteren entstehe Platz für einen Ausbau der Stadtbahnstrecke und die Einrichtung eines Kreisverkehres in Höhe des Sennestadthauses, um die komplizierte Anfahrt in die Sennestadt vor allem für Auswärtige zu erleichtern. »Diese Probleme sind mittel- bis langfristig lösbar.«
Größere Sorgen bereitet ihm dagegen die Bevölkerungsgruppe der 18- bis 35-Jährigen. »Sie äußern als einzige verstärkt Unzufriedenheit.« Es fehle dieser Altersgruppe vor allem an Freizeitangeboten. »Ich rate allen, dieses Problem ernst zu nehmen«, warnt Oberschelp. Die jungen Menschen seien die Zukunft Sennestadts und wer sie vernachlässige, werde langfristig verlieren.
Seinen Film hofft der 66-Jährige »so objektiv und neutral wie möglich« gedreht zu haben. Dass er Sympathien für Sennestadt hegt, kann er jedoch nicht ganz verhehlen, warum sollte er auch: »Wenn eine Sache gut ist, darf man sie ruhig loben.« Die erste Resonanz der Sennestädter auf eine Rohfassung seiner Arbeit war bereits sehr positiv. Die Universität Bielefeld, die Oberschelp bei seinem Vorhaben maßgeblich unterstützte, hat ebenfalls Interesse an seinem Film signalisiert: als Bestandteil für das Archiv der Zeitdokumente.
Wer sich selbst ein Bild machen möchte, hat am morgigen Freitag um 19.30 Uhr im Sennestadthaus die Gelegenheit. Ab Ende Mai soll der Sennestadt-Film dann auch auf DVD zu haben sein. Der Erlös fließt Sennestädter Projekten zu.

Artikel vom 28.04.2006