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Falscher Lehrer:
Seine Opfer
leiden bis heute

Mutter erhebt Vorwürfe gegen AWO

Von Christian Althoff
Bielefeld (WB). Wegen jahrelangen Missbrauchs von vier Mädchen steht derzeit Pflegevater Michael N. (46) aus Lemgo vor dem Landgericht Detmold. Susanne W. (33) aus Bielefeld ist eine der Mütter, die ihre Kinder dem angeblichen Lehrer anvertraut hatten und die sich heute Vorwürfe machen. »Dabei wollte ich doch nur das Beste für meine Kleinen. . .«
Susanne W. vertraute dem Mann ihre drei Kinder an.
Michael N. soll vier Mädchen missbraucht haben.

Nach einer Beziehung, in der Schläge zum Alltag gehörten, hatte sich die halbtags berufstätige Verkäuferin allein um ihre beiden Töchter und ihren Sohn gekümmert. »Als mir das immer mehr über den Kopf wuchs, riet mir das Jugendamt, meine Kinder in eine Pflegefamilie zu geben«, erinnert sich die Frau.
Lange habe sie sich dagegen gesträubt, erzählt sie. »Aber als ich mit den Nerven so weit am Ende war, dass ich auf Möbel einschlug, wusste ich, dass es so nicht weitergehen konnte.« Auf Vermittlung des Bielefelder Jugendamtes arrangierte die Arbeiterwohlfahrt in ihren Räumen ein erstes Treffen zwischen der Verkäuferin und Michael N. sowie dessen Lebensgefährtin. »Der Mann wurde mir als Lehrer vorgestellt, seine Freundin als Hauswirtschafterin. Das Paar machte einen guten Eindruck auf mich, sprach von seinem großen Haus mit Garten - meine Kinder schienen mir dort gut aufgehoben zu sein. Zumal in der Familie bereits ein anderes Pflegemädchen lebte und die Frau eine Tochter hatte«, erinnert sich Susanne W. Sie konnte nicht ahnen, dass Michael N. ein Tischler war und sich mit Hilfe gefälschter Papiere als Lehrer ausgab - nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft, um Zugriff auf Mädchen zu haben.
2002 zogen Susanne W.'s Kinder bei dem vermeintlichen Pädagogen ein - im Frühjahr ihre jüngste Tochter (6) und ihr Sohn (8), später auch die ältere Tochter (10). »Die Trennung von ihnen fiel mir schwer. Nach jedem Telefongespräch mit den Kindern war ich in Tränen aufgelöst«, erzählt die Mutter. »Ich freute mich, wenn mich die Kleinen alle paar Wochen besuchten. Allerdings wich ihnen ihr Pflegevater dann nicht von der Seite, und er lehnte auch immer meinen Wunsch ab, eines der Kinder übers Wochenende zu mir zu nehmen. Heute weiß ich: Er wollte verhindern, dass meine Kinder sich mir anvertrauen.«
Vorwürfe macht die Verkäuferin der Arbeiterwohlfahrt: »Obwohl dort schon 2003 erste Hinweise auf einen möglichen Missbrauch der Kinder bekannt waren, hat mich niemand informiert«, sagt die Mutter. Dass die Vorwürfe damals nicht bewiesen werden konnten, will sie nicht als Entschuldigung gelten lassen: »Ich hätte jedes Risiko ausgeschlossen und meine Kinder in jedem Fall aus der Pflegefamilie geholt.«
Erst im Frühjahr 2005, nachdem sich ein Mädchen der Pflegemutter offenbart hatte, waren die Kinder der Verkäuferin sowie ein weiteres Pflegemädchen aus Bielefeld aus der Familie genommen worden. Michael N. kam in Haft und hatte damit auch keinen Zugriff mehr auf die Tochter seiner Lebensgefährtin. »Ich musste meine drei Kinder ganz neu einkleiden, als sie bei mir ankamen. Wofür der Mann die 120 000 Euro ausgegeben hatte, die ihm vom Jugendamt für die Pflege der drei gezahlt worden waren, ist mir ein Rätsel«, sagt Susanne W.
Die Geschwister leben seit dem vergangenen Jahr wieder bei ihrer Mutter, die inzwischen geheiratet hat. »Wir sind jetzt eine richtige Familie - auch wenn die traumatischen Erlebnisse der Kinder ein normales Alltagsleben nicht zulassen«, sagt Susanne W. »Meine älteste Tochter weint manchmal nachts stundenlang, so dass ich sie nicht zur Schule schicken kann. Auch im Unterricht ist sie schon in Tränen ausgebrochen.« Und ihr Sohn, der kein Opfer sexueller Übergriffe geworden sei, leide unter den körperlichen Züchtigungen, die er in der Pflegefamilie habe erdulden müssen: »Davon hat er uns erst jetzt berichtet. Der Pflegevater soll ihn aus nichtigen Anlässen mit einem metallenen Schuhanzieher auf den Rücken geschlagen haben. Außerdem hat mein Sohn erzählt, er habe zur Strafe stundenlang in der Ecke stehen müssen - einmal von morgens bis in die Nacht.« Nur zu den Mahlzeiten habe er sich an den Tisch setzen dürfen. Rechtsanwältin Heike Klockemann, die die Familie vertritt, hat deshalb bei der Staatsanwaltschaft Detmold eine weitere Strafanzeige gegen Michael N. erstattet.
Der Prozess gegen den falschen Lehrer, der bislang nur ein Teilgeständnis abgelegt hat, wird am 17. Mai fortgesetzt.

Artikel vom 29.04.2006