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Freitod im Geflügelstall

Vogelgrippe-Gefahr und Stallpflicht - Züchter sahen keinen Ausweg mehr

Von Ernst-Wilhelm Pape
Paderborn (WB). Die wirtschaftliche Lage der deutschen Geflügelzüchter hat sich aufgrund der Vorsorgemaßnahmen gegen die Vogelgrippe dramatisch zugespitzt. Zwei Züchter aus dem Kreis Paderborn und Bad Salzungen in Thüringen haben sich in ihren Ställen erhängt, da sie keinen Ausweg aus der Existenzkrise mehr sahen.

Das hat der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband (WLV) in Münster bestätigt. Ein weiterer Züchter aus dem Kreis Gütersloh, der sich ebenfalls das Leben nehmen wollte, konnte gerettet werden. Er befindet sich jetzt zur Behandlung in der Westfälischen Klinik in Gütersloh.
Bis zu 15 000 der bundesweit 40 000 klein- und mittelbäuerlichen Geflügelzüchter werden nach Schätzungen des ehemaligen Präsidenten der Landwirtschaftskammer NRW, Karl Meise aus Rheda-Wiedenbrück (Kreis Gütersloh), derzeit in den Ruin getrieben. Grund sei die Verlängerung der Stallpflicht für Geflügel und das Verbot der Geflügelmärkte aufgrund der Vogelgrippe-Gefahr zunächst bis zum 12. Mai, sagte Meise. Die Geflügelzucht erlebe den größten wirtschaftlichen Einschnitt, den es in Deutschland je gegeben habe. Da aufgrund der verbotenen Freilandhaltung ganze Märkte wegbrächen, seien viele Zuchtbetriebe nicht mehr zu halten.
Nach Angaben von Eckhardt Brinkmann aus Delbrück, dem Sprecher der Interessengemeinschaft freier OWL-Geflügelzüchter, habe auch eine Futtermühle in Rheda-Wiedenbrück bereits Insolvenz angemeldet. Viele andere Zulieferer, die einen Großteil der Finanzierung der heranwachsenden Geflügelbestände geleistet hätten, kämen ebenfalls in massive wirtschaftliche Not. Die Stallpflicht sei praktisch ein Berufsverbot für Züchter.
Der Bund Deutscher Rassegeflügelzüchter hat bereits eine Großdemonstration in Berlin angekündigt. Unter dem Motto »Pro artgerechte Geflügelhaltung - ĂŠkontra staatlich angeordnete Tierquälerei« soll am Donnerstag, 4. Mai, von 13 bis 17 Uhr auf der Straße des 17. Juni eine Kundgebung stattfinden.
Nach Informationen dieser Zeitung planen Geflügelzüchter in Ostwestfalen-Lippe, ihre nicht mehr verkäuflichen Tiere aus den überfüllten Ställen ins Freie zu lassen oder in die Kreishäuser zu treiben. Einer weiteren Stallpflicht soll mit zivilem Ungehorsam begegnet werden.
Schnell und unbürokratisch hat das NRW-Landwirtschaftsministerium unterdessen den besonders betroffenen 250 Junghennenaufzüchtern in Ostwestfalen geholfen. Aus Gründen des Tierschutzes - in den überfüllten Ställen kommt es derzeit zu vielen Todesfällen, weil sich die Vögel gegenseitig erdrücken - wurden per Ministererlass bis zu 150 000 Tiere in den Kreisen Gütersloh und Paderborn aufgekauft und in einem Schlachtbetrieb in Salzkotten-Holsen getötet. Die Züchter bekommen 50 Prozent des Marktpreises der Tiere aus der Tierseuchenkasse ersetzt. Ob es zu weiteren Keulungsaktionen komme, hänge vom Anlaufen der geplanten Herauskaufaktion der EU ab, sagte Ministeriumssprecherin Sabine Raddatz dieser Zeitung. Seite 4 : Hintergrund

Artikel vom 27.04.2006