12.05.2006
|
»Danke«, sagte ich steif.
»Und dann wollte ich noch É Kannst du Frank sagen, dass wir für das Stück einen Rollstuhl brauchen, und wenn er zufällig einen bei der Hand hat É«
»Ja, ja, alles klar.«
»Ich muss jetzt. Und denk dran, was ich dir gesagt habe.«
In Gedanken versunken schlurfte ich zurück ins Wohnzimmer. Frank war aus dem Bad zurück und saß jetzt zusammen mit Droyd vor dem Fernseher. Das Krachen auf der Straße hörte sich an wie feindliche Artillerie. Die beiden im flackernden Lichtschein kauernden Gestalten sahen aus wie Soldaten, die in einem Schützenloch festsaßen. »Bel will einen Rollstuhl«, sagte ich.
Ich setzte mich aufs Sofa. Ich fühlte mich, als wäre ich gerade durch einen Wirbelsturm marschiert. Ich war nicht daran gewöhnt, dass Bel sich so glücklich anhörte. Es machte mich nervös. Es war, als ob ein Auto in einem Gang fuhr, den es eigentlich gar nicht hatte. Ich fragte mich, was ihr dieser Lump da oben auf dem Dach erzählt hatte.
»É erklären die Streitkräfte, dass dies nur einer von Dutzenden ähnlicher Fundorte überall in der Region ist«, sagte der Fernseher zu den Bildern eines Soldaten, der mit dem Stiefel Erde wegscharrte, um etwas freizulegen, das aussah wie ein Haufen verblichener Stofffetzen.
Mit einem hatte sie allerdings Recht: Seit Monaten hatte ich den Tag herbeigesehnt, an dem sie Frank an die Luft setzte. Nichts wollte ich mehr, als dass sie ihn loswürde, mitsamt seinem verrosteten weißen Lieferwagen und seinen verstümmelten Satzkonstrukten. Nun, da der Tag gekommen war, sollte ich doch mit Recht einen Augenblick des Jubels oder Triumphes verspüren oder zumindest ein schwaches Gefühl von der Endlichkeit und Vergänglichkeit aller Dinge. Stattdessen saß ich auf dem grotesk unförmigen Sofa, wartete auf den Rausch des Sieges und fühlte mich doch nichts weiter als ärgerlich hohl.
Das war absurd! Hatte ich da etwas verpasst? War mein Leben wirklich so kompliziert geworden, dass die fundamentalen Begriffe von richtig und falsch nicht länger galten? Großer Gott, jetzt, da sich ein winziger Erfolg eingestellt hatte, erhob da meine eigene Seele Einspruch und verwandelte ihn in eine Niederlage?
»Großer Gott«, entfuhr es mir.
»Was ist, Charlie?«
»Nichts, nichts, hat bloß ein bisschen gezwickt«, sagte ich und tippte an meinen Verband. Er wandte sich wieder dem Fernseher zu und ich meinem Ringen mit der immer offenkundiger werdenden Meuterei in meinem Innenleben.
I
D
Wenn man sich ihr Leben von Anfang bis Ende anschaute, wurde ziemlich deutlich, dass der Ausgangspunkt für alle später über sie hereinbrechenden Katastrophen die Ehe mit Oleg Cassini war. Das war die Grenzüberschreitung, die die Furien, die bis dahin an den Rändern ihres Lebens geschlummert hatten, aufweckten. Tatsächlich war diese Ehe die einzige rebellische Tat ihres ganzen Lebens. Sie war dazu erzogen worden, ein nettes Mädchen zu sein, und sie hatte immer genau das getan, was man ihr gesagt hatte: bescheiden mit ihrer Mutter zusammengelebt, die Gagen an die Gesellschaft überwiesen, die ihr Vater für sie gegründet hatte, von ihm für die kleinste Extravaganz einen Anschiss kassiert. Und dann kam Cassini des Wegs.
O
S
Eltern und Studios taten sich jetzt zusammen. Paramount feuerte Cassini, und Genes Studio, Fox, weigerte sich, ihn zu beschäftigen. Inzwischen klagten ihre Eltern gegenüber der Presse, dass Cassini ihre Tochter ausnutze, und versuchten die Eheschließung annullieren zu lassen. Plötzlich fanden sich die frisch Vermählten auf der schwarzen Liste von Hollywoods Society wieder, im Stich gelassen von allen Freunden. Cassini blieb arbeitslos, während Gene ohne Unterbrechung arbeitete und sie sich immer seltener sahen. Als der Druck Wirkung zeigte, riefen Vater und Mutter zu jeder Tages- und Nachtzeit an und versuchten sie zu überreden, Cassini zu verlassen. Obendrein stellte Gene während der Dreharbeiten zu Heaven Can Wait fest, dass sie schwanger war.
A
I
Ein Jahr später berichteten die Zeitungen über die Rötelnepidemie in Australien, die anscheinend eine Generation von geistig zurückgebliebenen Kindern hervorgebracht hatte, und Gene begann zu akzeptieren, dass ihr Kind möglicherweise kein Spätentwickler war, sondern ernsthafte Probleme hatte. Teure Spezialisten wurden konsultiert. (Die Kosten trug Genes alte Flamme Howard Hughes, der sich später, durch einen Flugzeugabsturz entstellt, aus der Öffentlichkeit zurückzog.) Sie sagten alle das Gleiche. Die Schädigung sei schon im Mutterleib aufgetreten und könne nicht behoben werden. Das Beste für alle Beteiligten sei, das Kind in einem Heim unterzubringen.
Artikel vom 12.05.2006