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Der Mythos ist entzaubert
Vor 500 Jahren starb der Seefahrer Christoph Kolumbus - ein brutaler Eroberer und kein glorreicher Entdecker
Klar ist, dass nichts klar ist. Über das Leben und Sterben des Christoph Kolumbus halten sich hartnäckige Gerüchte, und nur selten schaffen es Wissenschaftler, zum Kern der Wahrheit vorzustoßen. Heute vor 500 Jahren starb der Seefahrer im nordspanischen Valladolid, an seinem Grabmal in der Kathedrale von Sevilla wird es indes keine Würdigung geben - denn die dort bestatteten Gebeine sind nicht die des Eroberers. Die katholische Kirche hatte erst nach jahrelangem Zögern der Exhumierung der Überreste zugestimmt. Das FBI stellte seine Spezialisten zur Verfügung. Anthropologen vom Max-Planck-Institut in Leipzig mit forensischer Erfahrung wollten helfen.
Doch schon eine oberflächliche Analyse der Knochen ergab, dass diese nicht von Kolumbus sind. Die Verwirrung bezüglichÊder Grabstelle geht darauf zurück, dass die sterblichen Überreste immer wieder umgebettet wurden. Sie ruhten in Valladolid, in Sevilla, im kubanischen Havanna und im dominikanischen Santo Domingo.
Dort verweigert man nun umso beharrlicher eine wissenschaftliche Untersuchung des Kolumbus-Grabes, denn die vermeintlich letzte Ruhestätte, 1992 in pompösem Stil umgestaltet, gehört zu den Touristenattraktionen der Stadt -Êund die möchte man nicht in Gefahr bringen.
Unbestritten ist auch, dass Kolumbus, der ja eigentlich den Seeweg nach Indien suchte, nicht der Entdecker Amerikas war, als der er lange galt. Jahrhunderte vor ihm war der Isländer Leiffur Eiriksson bereits gen Westen gesegelt und hatte um das Jahr 1000 im Bereich des heute zu Kanada gehörenden Territoriums Neufundland den Kontinent betreten.
Und nun scheint es, dass Kolumbus gar auf den »dritten Platz« zurückfallen könnte. Der chinesische Anwalt Liu Gang stellte Anfang dieses Jahres in Peking eine Weltkarte vor, die er vor ein paar Jahren zufällig in einem Shanghaier Buchladen gefunden haben will. Die Karte, gefertigt im Jahr 1763, ist die Kopie einer 1418 gezeichneten Weltkarte auf grau-blauem Untergrund - mit Details über Amerika.
Nichts übrig bleibt vom Mythos Kolumbus. Dem Entdeckerdrang und Mut, in unbekannte Gewässer vorzustoßen, stehen gut dokumentierte, aber wenig bekannte von ihm und den Spaniern verübte Gräueltaten an der indianischen Bevölkerung gegenüber.
Geboren wurde Kolumbus zwischen dem 25. August und dem 31. Oktober 1451, sein Vater war der Genueser Wollweber Domenico Colombo. Der Name »Génoba«, den Kolumbus selbst gelegentlich als Herkunftsort angab, muss nicht zwangsläufig mit der norditalienischen Stadt Genua identisch sein. Es gab auch die Republik Genua mit ihren Besitzungen auf Korsika - und so hört man auch in Calvi häufiger die Behauptung, die Stadt sei Kolumbus' Geburtsort. Sogar die Herkunft aus Armenien und Norwegen hat man beweisen wollen.
Viel interessanter ist die Frage, warum er zeitlebens seine Abstammung zu verbergen suchte. Der als »Nazi-Jäger« bekannt gewordene Simon Wiesenthal behauptete, dass Kolumbus seine jüdische Herkunft geheim halten wollte, weil die Katholiken Isabella und Ferdinand Juden aus Spanien vertreiben wollten.
Die Idee, einen Seeweg von Europa nach Indien zu suchen, geht auf Aristoteles zurück. Nachdem der portugiesische Herrscher Johann II. sich indes weigerte, eine solche Expedition zu finanzieren, wandte sich Kolumbus an Ferdinand II. von Aragón und Isabella I. von Kastilien. Kolumbus stellte unverschämte Forderungen für seine Expedition, die mehrfach abgelehnt wurden, worauf er drohte, in anderen Ländern um Unterstützung nachzusuchen. Am 17. April 1492 wurde schließlich die so genannte Kapitulation von Santa Fé, ein Vertrag zwischen den spanischen Monarchen und Kolumbus über eine Expedition, unterzeichnet.
Tatsächlich wurden es vier Reisen, die er unternahm. Zur ersten brach er am 3. August 1492 mit der Karacke Santa Maria sowie den beiden Karavellen Niña und Pinta von Palos de la Frontera bei Huelva auf.
Am 12. Oktober 1492 erreichten die Schiffe die Neue Welt. Kolumbus ging auf einer Insel der Bahamas an Land und gab ihr den Namen San Salvador - doch einmal mehr ist bis heute nicht nachweisbar, ob es sich bei diesem Eiland um die heute San Salvador genannte Insel handelt.
In den 1980er Jahren führten Neuberechnungen der Route anhand der Logbücher zu der These, Samana Cay sei die Insel, auf der Kolumbus zuerst landete. Auf der Weiterfahrt entdeckte er auch Kuba. La Isla Espanola, von den Briten in Hispaniola verballhornt, wurde die erste Kolonie des spanischen Königreichs in der Neuen Welt, Kolumbus deren Gouverneur und Vizekönig.
Schnell entpuppte er sich als wahrer Tyrann. Der Priester Bartolome de las Casas, der 1502 auf das heutige Kuba emigrierte, berichtete in seinen Aufzeichnungen von Massenhängungen, Verbrennungen, Vergewaltigungen, und Zerstückelungen, wobei auch Kinder, Schwangere oder Alte nicht verschont wurden. Fünf Millionen Tote gehen nach neueren Erkenntnissen auf sein Konto.
Damit handelte Kolumbus gegen den Auftrag der spanischen Krone, die ausdrücklich eine gute Behandlung der künftigen Christen in den neuen Ländereien verlangt hatte.
So war es aber nicht verwunderlich, dass heimgekehrte spanische Siedler Kolumbus am königlichen Hof beschuldigten, die Verwaltung der Kolonie nicht im Griff zu haben.
Deshalb setzte der König Kolumbus im Mai 1499 als Gouverneur ab und ernannte stattdessen Francisco de Bobadilla, der die Kolonie am 23. August 1500 erreichte und Kolumbus und seinen Bruder in Ketten nach Spanien bringen ließ. Kolumbus weigerte sich, die Ketten abzulegen, ehe er vor die Königin trat. Vom Königspaar wurden beide zwar begnadigt, doch hatte Vasco da Gama 1499 auf einer Südroute um Afrika herum den ersehnten Seeweg nach Indien entdeckt, womit die Portugiesen den Wettlauf gewonnen hatten.
Thomas Albertsen

Artikel vom 20.05.2006