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Kein Interesse an der Tarifwahl

Studie: Gesetzlich Versicherte würden neue Möglichkeiten kaum nutzen

Von Reinhard Brockmann
Gütersloh (WB). Gesetzlich Krankenversicherte, und damit neun von zehn Deutschen, lehnen jegliche neue Formen von Selbstbeteiligungen und freier Tarifwahl ab. Gemäß einer Studie der Bertelsmann-Stiftung tun sich damit zusätzliche Hürden für die in der Großen Koalition strittige Gesundheitsreform auf.

85 Prozent der Menschen in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind selbst bei einer erheblichen Senkung der Krankenkassen-Beiträge - derzeit circa 7 Prozent vom netto - nicht bereit, Eigenanteile von bis zu 500 Euro zu übernehmen. Im Vergleich dazu sprechen sich gerade 35 Prozent der Privatversicherten (PKV) gegen eine Eigenbeteiligung in dieser Höhe aus.
Gemäß der »Gesundheitsmonitor« genannten Befragung der Bertelsmann Stiftung empfinden 25 Prozent der Gesetzlich Versicherten es als schwierig, die Zuzahlungen für rezeptpflichtige Arzneimittel zu leisten, während es in der Privatversicherung gerade sechs Prozent sind.
Mit Blick auf die von SPD und CDU in Ansätzen vorgestellte Gesundheitsreform verweist man in Gütersloh auf das Bespiel Schweiz. »Mit praktisch allen dort wählbaren Selbstbeteiligungstarife können die teilnehmenden Versicherten Kosten einsparen«, sagte gestern Jan Böcken, Projektleiter der Bertelsmann-Stiftung. Bislang kann hierzulande nur ein kleiner Kreis von Versicherten diese Möglichkeit wählen. Wenn eine neue Reform dies für alle GKV-Versicherten zuließe, würde sich, so Böcken, vermutlich ein großer Teil aufgrund der aktuellen Zuzahlungsbelastung gegen jegliche Modelle der Selbstbeteiligung entscheiden. »Damit bliebe einem effektiven Instrument zur Steuerung der Leistungsinanspruchnahme die Breitenwirkung versagt.«
Nach einer Selbsteinschätzung der 1500 repräsentativ Befragten ist der Gesundheitszustand der Versicherten laut Studie in der GKV schlechter ist als der in der PKV: 22 Prozent der gesetzlich Versicherten beschreiben ihre körperliche Verfassung als weniger gut oder schlecht, 23 Prozent geben an, chronisch krank zu sein (9 und 12 Prozent in der PKV). GKV-Versicherte haben damit nicht nur weniger finanziellen Spielraum, sie haben auch aus gesundheitlichen Gründen oft nicht die Möglichkeit, weniger Leistungen in Anspruch zu nehmen.
Ursachen für die bessere Gesundheit von Privatversicherten ließen sich aus der Befragung nicht ablesen, sagte Böcken dem WESTFALEN-BLATT, dafür sei aber die Selbsteinschätzung als solche über viele Jahre sehr stabil. Unstrittig sei, dass ein Zusammenhang zwischen Armut und weniger Gesundheit bestehe, wenngleich dies nicht Thema der aktuellen Studie gewesen sei.
Nach einer anderen Untersuchung fühlen sich Bürger in armen Regionen gesünder. Auch sind sie mit ihrer Gesundheitsversorgung zufriedener als Bürger in wohlhabenden Regionen. Dies ist das überraschende Ergebnis einer Emnid-Umfrage für die Allianz Private Krankenversicherung. Die Meinungsforscher hatten 10 000 Deutsche in 97 Regionen nach ihrer Zufriedenheit mit der eigenen Gesundheit und der ärztlichen Versorgung befragt. »Je ausgeprägter der Wohlstand in einer Region ist, desto höher sind auch die Ansprüche an die eigene Gesundheit. Das führt zwangsläufig zu unterschiedlichen ,Leidensniveaus'«, so die Allianz.
Die Reformvorschläge für eine große Gesundheitsreform greifen nach Ansicht der Bertelsmänner allein zu kurz. Aus Sicht der Stiftung fehlen Steuerungsmöglichkeiten seitens der Anbieter. Das kalifornische »Geld folgt Leistung«-Programm weise den richtigen Weg. Hier erhalten Ärzte Bonuszahlungen für das Erreichen bestimmter Qualitätsziele, die Anwendung standardisierter Behandlungs- und Dokumentationsverfahren, für hohe Patientenzufriedenheit sowie die Durchführung von Vorsorgemaßnahmen. Kommentar

Artikel vom 25.04.2006