10.05.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 



Pongo stellte mich und Hoyland Rücken an Rücken auf. Ich merkte auf einmal, wie kalt es war. Der Garten leuchtete, ich nahm jede Einzelheit wahr.
»Auf mein Kommando geht jeder zehn Schritte geradeaus. Dann, wieder auf mein Kommando, dreht ihr euch um. Wenn ich meinen Hut in die Luft werfe, darf geschossen werden. Alles verstanden? Gut. Also los. EinsÉ«
Während ich mit durchgedrückten Knien steif geradeaus schritt und der Saum meiner Hosenbeine den Tau aufsaugte, fragte ich mich, was genau ich hier eigentlich tat. Trotzdem ergab das alles irgendwie einen Sinn für mich, sogar einen einzigartigen Sinn.
»Zwei É dreiÉ«
In diesen Sekunden passte alles in meinem Leben zusammen. Falls es zum Schlimmsten käme und ich jetzt sterben würde, dann geschähe es in meinem Garten, im Kreis meiner Freunde und zu Ehren der Frau, deren wahrhaftiger und ewiger Liebe ich jenseits jeden Zweifels gewiss war. Was Todesarten anging, kam mir die hier gar nicht so übel vor.
»Fünf É sechsÉ«

M
ist, ich hatte ganz vergessen, mich von Bel zu verabschieden. Sie war irgendwo unterwegs, baute irgendwo für eine Vorstellung die Bühnenbeleuchtung auf. War wahrscheinlich besser so - sie neigte dazu, der Stimmung auf jeder Party den Garaus zu machen, und ich wage zu behaupten, dass sie Duelle ebenfalls missbilligte; zudem hegte sie eine starke Abneigung gegen Patsy, die sie immer das Dalkey Chameleon nannte. Ich merkte mir vor, sie in meine letzten Worte einzuschließen.
»AchtÉ«, rief Pongo. »NeunÉ«
Fluffy Elgins Kichern hatte sich in einen Schluckauf verwandelt, sie musste sich setzen.
»Zehn É O verdammt, Sekunde nochÉ«
Ein tappendes Geräusch war zu hören, dann Stille. Die Sekunden verrannen. Ich stand zitternd da, die kalte Mündung an meine Backe gedrückt. Ich starrte in einen Pfingstrosenstrauch, registrierte teilnahmslos die Form von Blättern, glänzenden Stengeln, Blüten. Fluffys Schluckauf klang traurig.
»He, Boyd«, rief ich, nachdem weitere Sekunden verstrichen waren.
»Ja?«, antwortete Boyd. Er saß neben Fluffy auf einem Baumstamm und versuchte sie dazu zu bringen, die Luft anzuhalten.
»Was ist los?«
»Weiß nicht genau«, sagte Boyd. »Pongo ist irgendwohin gelaufen.«
»Was?« Die Stimme wehte von Hoylands Standort unter den Lärchen herüber.
»Ich glaube, er holt was aus dem Haus«, sagte Boyd. »Ist sicher gleich wieder da.« Er fing an, vor sich hin zu summen.
»Ist verteufelt kalt hier«, merkte ich an.
»Können wir uns nicht hinsetzen«, wollte Hoyland wissen. »Oder wenigstens umdrehen.«
»Weiß nicht«, sagte Boyd. »Das kann nur Pongo entscheiden, er ist der Schiedsrichter.«
Wir blieben, wo wir waren. Immer mehr Vögel stimmten in das Gezwitscher ein. »Die Sonne scheint mir genau in die Augen«, jammerte Hoyland. Ein Auto raste die Straße hinunter.
Meine Zähne fingen an zu klappern.
»Raaaaaah!«, kreischte Boyd plötzlich und ließ uns alle zusammenfahren.
»Was, zum HenkerÉ«
»Ich wollte nur Fluffy erschrecken«, entschuldigte sich Boyd.
»Huupp É huupp É huupp.« Fluffys Schluckauf war erbarmungswürdig. Sie saß ermattet da und drehte eine Pfauenfeder zwischen ihren Fingern.
»Das ist doch lächerlich«, sagte ich und drehte mich um, worauf Hoyland augenblicklich anfing, in der Gegend herumzuhüpfen, und brüllte, dass ich das Duell wegen Nichtantretens verloren habe und er der Sieger sei.
»Sei nicht albern«, sagte ich. »Ich such jetzt Pongo, so kann man doch kein Duell durchziehen.« Ich warf meine Pistole unter den Apfelbaum und ging Richtung Haus. Hoyland taperte hinter mir her.
Pongo war weder in der Küche noch im Speisezimmer. Hoyland schaute dann in die Bibliothek und ich in den Salon - nichts. Er entpuppte sich weder als einer der schlummernden Körper im Musikzimmer, noch fand er sich unter den Mesalliancen, die sich in den Schlafzimmern tummelten.
»Als wenn er abgehauen wäre«, sagte Hoyland.
»Sehr merkwürdig«, sagte ich.
»Ich meine, seine Arbeit hat er bis dahin doch sehr gut gemacht, oder?«, sagte Hoyland.

U
nd dann, gerade als wir unsere Suche abblasen wollten, da fanden wir ihn. Fast völlig zugedeckt von mehreren Mantelschichten, lehnte er an der Rückwand des Garderobenraums. Sein Gesicht war zu einer sehenswerten Maske erstarrt, die sowohl Befremden wie auch Verzückung ausdrückte. In seiner Hand klemmte ein triumphal wirkender Brandy. Wir fragten, was zum Teufel hier vorginge, und er berichtete mit stockender, fiepsender Stimme, dass er gerade von Patsy Olé beglückt worden sei.
Hinter mir hörte ich Hoylands Pistole auf den Boden aufschlagen.
»Was?«, wisperte ich.
»Ich wollte bloß meinen Hut holen«, sagte Pongo.
»Und É undÉ«, stammelte Hoyland. »Und wo ist sie jetzt?«
»Weg«, sagte Pongo.
»Weg?«
»Ihr Flugzeug nach Rom geht in einer halben Stunde«, sagte er verträumt. »Das Taxi hat schon gewartet.«
»Das gibtÕs nicht«, sagte ich und ignorierte die Giftstoffe, die in meinem Magen einen danse macabre vollführten. »Du willst mir weismachen, dass É dass du hier drin warst und nur was holen wolltest, und dann ist sie einfach reingeplatzt und hat dir einenÉ« Ich sprach nicht weiter, allein der Gedanke war schon grässlich genug.
»Ja«, sagte Pongo. »Im Wesentlichen warÕs so. Dann hat sie ihren Mantel genommen und ist gegangen.« Gedankenvoll trank er einen Schluck Brandy. »Ein Klasseweib«, sagte er.
Von Hoyland vernahm ich ein dumpfes Stöhnen. Gebeugt wie alte Männer standen wir beide da.
»Und was ist mit uns?«, hörte ich ihn kraftlos krächzen. »Hat sie nichts über uns gesagt?«
Pongo dachte darüber nach. »Ja, richtig, sie hat noch was gesagt É Saluté!«. Dann hob er das Glas und wünschte uns was.

Neun
Ich betrachtete das zufällige Treffen mit Hoyland als Warnung der Götter und versuchte es an jenem Tag mit keiner weiteren Agentur mehr. Der Regen hatte sich zur Sintflut ausgewachsen, und als ich wieder in Bonetown war, befand sich meine Laune auf dem Tiefpunkt. Und die besserte sich auch nicht dadurch, dass ich von der Bushaltestelle bis nach Hause ein Spießrutenlaufen durch die ortsansässige Jugend zu erdulden hatte, die anscheinend irgendeine Art wütenden Feldzug gestartet hatte. Explosionen erleuchteten den Himmel, und die Straßen waren voller brüllender Bälger, die Bauholz, Autoreifen und alle möglichen anderen brennbaren Materialien zu einem Scheiterhaufen schleppten, der vor unserem Wohnblock in die Höhe wuchs.
»Hallowee-heen«, sagte Droyd, als ich ihn darauf ansprach.

S
ind noch Wochen bis Hallowee-heen«, sagte ich säuerlich, während ich meinen Schal abnahm und draußen auf eine Serie von metallischen Quietsch- und Ächzgeräuschen Jubelgeschrei und dann ein kostspielig klingendes Krachen folgten. »Die machen ja wohl nicht die ganze Nacht durch, oder? Ich nehme doch an, dass wenigstens ein paar von denen Eltern zu Hause haben, die sich irgendwann mal fragen É«
»Klar«, sagte Droyd fröhlich, während er sich das Schlachtfest anschaute. »Aber an Hallowee-heen starten die Jungs hier immer Õne kleine Party. Hab ich Recht, Frankie?«
»Klar«, bestätigte Frank mit elender Stimme.
»Da, schau raus, sind alle hier aus der Gegend«, sagte Droyd.
»Ich hab gar nichts gegen Partys«, sagte ich. »Ich mag Partys, wie jeder andere Mensch auch. Aber meinen Nerven bekommt das gar nicht, ich hab sowieso schon Mordskopfschmerzen. Die Heroindealer, die führen nicht zufällig auch Aspirin oder Paracetamol oder so was?«
»Ich glaube, die haben nur Heroin, Charlie.«
»Mann, Frankie, weißt du noch damals, als die Feuerwehr da war, und wir haben die mit Steinen bombardiert, und einen von den Ärschen hab ich voll mit Õner Holzlatte erwischt, weißt du noch, Frankie?«
»Klar, Droyd.«
»Ihr habt die Feuerwehr angegriffen?«, sagte ich ungläubig.
»Wir wollten uns bloß Õn bisschen amüsieren.« Draußen gingen zwei Raketen hoch, die Droyd erst einen silbernen, dann einen rosa Streifen übers Gesicht jagten. »Ist das zu viel verlangt? Wenn die uns einen verschissenen Tag in Ruhe lassen, damit wir Õn bisschen einen draufmachen können, dann passiert keinem was.«
»Bisschen amüsieren«, wiederholte ich hämisch. »Da draußen siehtÕs aus wie in Bosnien.« Im selben Augenblick verspürte ich einen Stich Heimweh nach Mrs P und dem Kakao, den sie mir an regnerischen Tagen wie diesen immer machte É
»Frag mich, ob sie dies Jahr auch kommen«, sagte Droyd und rieb sich die Hände.
Schwer seufzend stand Frank auf, ging zum Kühlschrank, nahm ein Sixpack HobsonÕs heraus und verließ das Zimmer.
»Was hat er?«, fragte ich.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 10.05.2006